Sleater-Kinney – „Little Rope“ (Rezension)

Von Marius Magaard, 19. Januar 2024

Cover des Albums „Little Rope“ von Sleater-Kinney

Sleater-Kinney – „Little Rope“ (Loma Vista)

8,6

Es gibt eine ganz spezifische Euphorie, die in der Welt der Rock-Musik nur Sleater-Kinney auslösen können. Sie entsteht im Hin und Her zwischen den Bandmitgliedern Corin Tucker und Carrie Brownstein. Ein kontrolliert-chaotischer Dialog, bei dem sich sowohl ihre Stimmen als auch ihre Gitarren verstricken. Tuckers Gesang hat schon ohne Brownsteins Gegenstück die Kraft, Gebäude zum Einstürzen zu bringen. Wenn sich dieses mächtige Jaulen mit Brownsteins aggressiver Lead-Gitarre überlagert – und andersherum, schließlich wechseln beide Musikerinnen oft die Rollen, oftmals innerhalb desselben Songs – sind sie unaufhaltsam. Die gegenläufigen Gesangsmelodien und Instrumente überschlagen sich in einem unglaublich lebendigem Chaos. In diesen Momenten, bspw. im kanonartigen Finale von „One Beat“ oder auf ihrem Album „Dig Me Out“, strahlt die Band aus Olympia, Washington, eine wütende, trotzige Lebensfreude aus, der man sich nicht entziehen kann. In diesen Momenten sind Sleater-Kinney die wahrscheinlich beste Rockband der Welt.

Diese Chemie war es, die so charakteristisch war für die Albumveröffentlichungen zwischen 1995 und 2005. Vom selbstbetitelten, roh-explosiven Debüt bis zum experimentell ausufernden „The Woods“, allesamt bis zum Rand gefüllt mit diesen magischen Momenten. In den vergangenen Jahren sind diese aber etwas seltener geworden. Ihr 2015 nach einer achtjährigen Pause veröffentlichtes Comeback „No Cities To Love“ war grandios. Doch die beiden Nachfolger „The Center Won’t Hold“ (2019) und „Path Of Wellness“ (2021) gestalteten sich als etwas kompliziertere Angelegenheiten. Beide LPs waren auf ihre eigene Art und Weise schwere Geburten: Erstere markierte das Ende von Sleater-Kinney als eingeschworenes Trio, mit dem Ausstieg ihrer langjährigen Schlagzeugerin Janet Weiss (deren furioses Drumming als kräftiges Fundament für Tuckers und Brownsteins komplexe Dialoge genauso essenziell war). „Path Of Wellness“ wiederum war ein musikalisch etwas konservativeres Rock-Album, inmitten der Pandemie-Unsicherheit aufgenommen.

Don’t call it a comeback

Es sei klargestellt: Ein vergleichsweise mittelmäßiges Sleater-Kinney-Album ist immer noch ein hörenswertes Ereignis (beide Platten waren schließlich unsere Alben der Woche). Doch beiden mangelte es an dieser spezifischen Euphorie. Viele eingeschworene Fans prophezeiten schon das Ende der Band. Oder befürchteten, dass sie ihren kreativen Zenit überschritten hätten. Doch wie es so oft mit Prophezeiungen ist, sollte man auch dieser nicht all zu viel Vertrauen schenken. Denn nun ist „Little Rope“ da. Und es ist mindestens ihr bestes Album seit „The Woods“: Zehn vor Lebendigkeit nur so übersprudelnde Songs, auf denen Tucker und Brownstein wieder zu alter Höchstform auflaufen.

Die Antriebsmotoren hinter ihrem elften Album waren ihre jahrzehntelange Freundschaft – und eine Tragödie: Während eines Italien-Urlaubs verunglückten Brownsteins Mutter und Stiefvater bei einem Autounfall. Die US-amerikanische Botschaft in Italien konnte Brownstein telefonisch nicht erreichen und musste ihren offiziellen Notfallkontakt anrufen: Tucker. Inmitten dieser Trauer trieb es Brownstein zurück zur Musik – zur Gitarre, um genau zu sein. Waren die Lead-Vocals auf den bisherigen Sleater-Kinney-Alben immer aufgeteilt, fokussierte sie sich für „Little Rope“ ganz auf ihr Instrument. Ihre vom Verlust gezeichneten Texte lässt sie von ihrer besten Freundin singen – eine von vielen Gesten des tiefen Vertrauens dieser beiden Künstlerinnen. „Musik gab mir Struktur, einen Angelpunkt“, sagte Brownstein in einem Interview. „Jeder Aspekt des Albums sollte die Kostbarkeit des Lebens ausdrücken, verarbeiten und vermitteln. Die Tiefen und die Höhen.“

Euphorischer Dialog

„Little Rope“ beginnt am Rock Bottom: „Hell don’t have no worries / Hell don’t have no past / Hell is just a signpost when you take a certain path”, singt Tucker über gediegene Akkorde und einen bedrohlichen Synth-Drone. Und dann bricht die beschriebene Hölle los – mit brutal lautem Gitarrenlärm und donnernden, überkomprimierten Drums. Solche Explosionen sind für Sleater-Kinney nicht neu (man erinnere sich an ihre feministische Groteske „Modern Girl“, die am Ende vom weißen Rauschen zerfressen wird). Doch so oft wie auf „Little Rope“ kollabierten ihre Songs noch nie. Brownstein mag nicht mehr so viel schreien wie früher, gleicht das aber mit ihrem Fuzz-Sound aus. Im Ende von „Six Mistakes“ scheint sie aktiv mit ihrem Instrument zu kämpfen, so sehr kreischt die Gitarre.

Doch sie kreischt nicht nur. „Little Rope“ zeigt die Band in ihrer ganzen Vielseitigkeit: vom stressigen Swagger von „Small Finds“ über das energische „Don’t Feel Right“ bis zu „Crusader“, in dem beide Gitarristinnen ihre Instrumente so schön verzahnen, wie sie es schon lange nicht mehr taten. Die großen magischen Sleater-Kinney-Momente passieren aber im Dialog zwischen Tuckers Gesang und Brownsteins Lead-Gitarre. „Say it like you mean it / I need to hear it before you go“, schreit-singt Tucker in der fast schon stadiontauglichen Hymne „Say It Like You Mean It“, während Brownstein immer wieder auf den gleichen Ton einhämmert, die Dringlichkeit des Texts immer weiter unterstreichend. Da sind sie wieder, die Momente, in denen Sleater-Kinney die beste Rockband der Welt sind.

Veröffentlichung: 19. Januar 2024
Label: Loma Vista

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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