Billy Bragg: Der Anti-Zyniker

Facebook | Billy Bragg

Ein Konzert von Billy Bragg ist immer auch politisches Kabarett. Man muss zugeben, dass sich seine Gitarrenkünste in Grenzen halten, seine Texte sind voller Ärgernis und Stichelei, aber seine Ansprachen zwischen den Songs waren gestern im Berliner Heimathafen Neukölln 25 Euro Eintritt wert.

Dabei bot sich hier, in dem großen Saal mit den Barock-Elementen an den Wänden, ein seltsames Bild. Das Publikum dürfte seine Erfolge der Achtziger als aufmüpfige Rotzlöffel hautnah miterlebt haben. Das jugendliche Funkeln in den Augen, die spitzbübische Verständigung der in die Jahre gekommenen Revoluzzer waren bei diesem ausverkauften Konzert deutlich zu spüren. Spießig sind sie heute wohl geworden, nur ein, zwei Rude Boys, Punks oder Skins konnten im Publikum erspäht werden. Deshalb blieb es auch während der Songs bei vornehmen Wippen statt Pogo. Bezeichnend war wohl auch der Unmut zu Beginn des Publikums als Billy Bragg noch nicht pünktlich um neun auf der Bühne stand. Nach einer halbe Stunde Verspätung gab es schon die ersten Pfiffe. Zeit ist Geld.

Billy Bragg stand auf der Bühne wie vor 30 Jahren. Seine Gitarre im Anschlag, die Haare etwas ergraut, statt eines Pints genehmigte er sich eine Tasse Tee. Er erzählte Anekdoten aus deutschen Supermärkten, lobte den deutschen Vatertag, an dem sich Männer auf offener Straße betrinken und bemerkte, dass es diesen Tag auch in England gebe: „We call it Saturday! Oh and sometimes it’s also called Friday!“ Die Menge johlte.

Dennoch: Billy Bragg ist politisch – immer noch. Dass er gestern in einer Location auf der Karl-Marx-Straße spielte ist sicherlich kein Zufall. Heute ist es nicht mehr einfach der Kapitalismus oder der Konservatismus wie zu Zeiten der Thatcher-Ära. Er nahm seine Zuschauer ins Gebet, als er vor dem Zynismus der Gesellschaft warnte. Der Zynismus, der uns gleichgültig werden lässt und auf den die Strippenzieher in Politik und Wirtschaft bauen. „We must fight cynicism!“ Ist das tiefgründige Systemkritik? Billy Bragg ist Populist und kein Politiker, er hat sein Herz am rechten Fleck und tritt sein Leben lang für seine Überzeugungen ein. Er weiß, dass er die jetzige Generation nur noch schwer mit Liedern über die Arbeiterklasse erreichen kann, aber er kapituliert nicht. In diesem Jahr zahlte er keine Steuern aus Protest gegen die hohen Boni-Zahlungen englischer Banker. Die Anzeige hat er schon am Hals.

Viel neues aus seinem Repertoire gab es nicht, die alten Protestsongs gelten vielleicht heute mehr denn je. Die Tracklist war zu erwarten und dennoch hat man sich selten bei einem Konzert so unterhalten gefühlt und selten wurde so eindringlich an die eigene Verantwortung für die Gesellschaft appelliert. Billy Bragg wird noch lange kämpfen müssen und die Gitarre krachen lassen, es gibt viel zu tun.

Billy Bragg war nicht nur auf Tour – sondern auch im ByteFM Magazin bei Siri Keil zu Gast und hat dort einen seiner Songs live für uns performt! Nachhören könnt Ihr das in der Session auf unserer Magazin Seite.

Das könnte Dich auch interessieren:



Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    Andreas M.
    Sep 23, 2013 Reply

    Hi Vera,
    du hast nun meine email-adresse, melde dich, wenn du willst.
    I give my greetings to the (new) brunette,
    Andreas

Deine Meinung

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.