Neue Platten: Gallon Drunk – „The Soul Of The Hour“

Gallon Drunk - The Soul Of The Hour (Clouds Hill)Gallon Drunk – „The Soul Of The Hour“ (Clouds Hill)

8,0

Gut sehen James, Terry, Leo und Ian auf dem Foto aus. Ihr freundliches Lächeln wirft zarte Krähenfüsse unter ihre Augen. Terry und Ian wirken, als hätten sie gerade einen alten Scherz aufgewärmt. Neu-Bassist Leo senkt den Kopf. James ist auf die Kamera konzentriert und im Moment des Auslösens drückt sein Gesicht entspannte Konzentration aus. Klick.

Die englische Kultband Gallon Drunk bringt mit „The Soul Of the Hour“ ihr achtes Album heraus. Seit der ersten Veröffentlichung 1992 ist Blues die Basis ihres Sounds. Die zwölf verinnerlichten Takte werden seit jeher mit Punk, Jazz und wahnsinnigem Rock zu einem kräftigen Noise-Blues vermischt. Wo andere Bands mit lautem Gezerre die Verstärker kapitulieren lassen, bringen Terry Edwards und James Johnston jazzige Elemente mit Saxofon und Orgel in den Sound von Gallon Drunk ein. Das Quartett ist bekannt für seine virtuosen, dramatischen Songs. Texte über Liebe, Angst und Trauer kann nur James Johnston so rüberbringen wie er es mit seinem Gesang tut. Als längstes Bandmitglied und mit entsprechendem Lebenslauf veröffentlichte er Soloplatten und arbeitete mit Nick Cave und Lydia Lunch zusammen.

Ein Konzert von Gallon Drunk ist laut, schwitzig und verraucht. Als sich die Freunde damals in den 80ern zusammenfanden und eine Wohnung teilten, waren The Gun Club oder Suicide ihre Vorbilder. Dass ihr Stil aber so durch die Decke geht, hätten sie selbst nicht gedacht. Seitdem landet jedes neue Album in den Independent Charts, wird von Radiosendern in die Playlists aufgenommen und auch in Zukunft keinen Plattenkritiker langweilen. Diese hatten zuletzt 2012 „The Road Gets Darker From Here“ als bisher bestes Album der Band gefeiert und in die Hände geklatscht. Das wird jetzt bei „The Soul Of The Hour“ nicht anders werden, wirft man einen Blick hinein.

Das Album beginnt mit „Before The Fire“. Ein Stück, wie soll man es sonst hervorheben, das die schönste und stärkste Einleitung seit vielen gehörten Alben ist. Jede „First-track-on-album“-Sendung kann ab sofort damit beginnen. Und wer sich einen Gefallen tun will, hört „Before The Fire“ zunächst nur an und schiebt das Video nach. Es beginnt mit einem jammigen Intro aus perkussiven Elementen und sustainigen Tönen, führt beim Hörer zu ausschweifendem Storytelling und einem Imaginationsfeuerwerk im Kopf, bis dann ab der sechsten Minute der Gesang von James Johnston den straffen Spannungsbogen zerreißt. Das Video zu „Before The Fire“ wurde von Joachim Zunke produziert und ist die gelungene bildliche Überlieferung des Songs. Der Produzent des Albums, Johann Scheerer, sagt über diesen Song: „Es ist eins der besten Musikstücke, an dem ich die Ehre hatte zu arbeiten.“

In „The Dumb Room“, der zweiten Singleauskopplung, crashen die Becken in einem endlos fetten Schlagzeugsolo, noisy und krawallig. „So glad that we are back in the dumb room again“, schreit James Johnston mehr als er singt und heißt alte Fans mit seinen, ja, nihilistischen Texten willkommen. In „The Exit Sign“ führt uns seine verhallte Stimme auf treibendem, nervösem Rhythmus dem Untergang entgegen. Auffällig richtet sich der Sound nach den Titeln des Albums aus. So kann man den Staub in „Dust In The Light“ quasi sehen. Er umgibt Johnston, der wie durch einen Filter alle Höhen im Sound abgesägt, seinen Text haucht. Deutlich noch einmal im letzten Stück „The Speed Of Fear“, das die Hörer wieder verabschiedet und ausgeblutet zurücklässt in ihrer kollektiven Hoffnungslosigkeit.

Der Kreis auf dem Album-Cover aus kräftigen, spontanen Pinselstrichen ähnelt einer Iris. Verschiedene dicke Schichten und Führungen greifen verschwommen ineinander und sind farblich so ausgewogen, dass sie böse Anmutungen entkräften. Besonders schön wirkt dies auf dem Cover der Vinyl-Ausgabe von „The Soul Of The Hour“.

Die Band ist ihrem Ruf treu geblieben, sich mit jedem Album zu verbessern bzw. zu verändern. In „The Soul Of The Hour“ sind es die langen instrumentalen Passagen und teilweise hypnotisierenden Momente, das Übereinanderlegen verschiedenster musikalischer Einflüsse und über allem die Angst vor dem Rennen der Zeit. Sie können stolz auf ihre nun zwei Jahrzehnte andauernde Bandgemeinschaft sein (Bassist Leo Kurunis noch ausgenommen) und genau diesen Moment gibt das Foto vom Anfang dieser Rezension wieder. Klick.

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