Ryley Walker – „The Lillywhite Sessions“ (Rezension)

Von Matthias Grube, 16. November 2018

Cover von Ryley Walker – „The Lillywhite Sessions“ (Dead Oceans)

Ryley Walker – „The Lillywhite Sessions“ (Dead Oceans)

7,8

Es ist eine melancholische Anekdote der Popmusik und sie muss in diesem Zusammenhang erzählt werden: Nach drei Alben begibt sich die von KritikerInnen gering geschätzte und als uncool betrachtete, kommerziell jedoch äußerst erfolgreiche US-amerikanische Dave Matthews Band in den Jahren 1999 und 2000 in Studio, um unter der Regie von Hausproduzent Steve Lillywhite ein neues Album aufzunehmen. Die Sessions stehen unter keinem gutem Stern. Die Songs, von Dave Matthews mit Alkoholproblemen geschrieben, waren düster und voller Selbstmitleid. Die Band konnte mit den Stücken nichts anfangen, ebenso wenig die Plattenfirma. Im Sommer 2000 wurden die Aufnahmen abgebrochen, der Dave Matthews Band wurde ein neuer Produzent vorgesetzt, der zusammen mit den Musikern neue Songs entwickelte. Das Ergebnis war das 2001 erschienene Album „Everyday“.

Kurze Zeit später tauchten im Internet Raubkopien des fortan „The Lillywhite Sessions“ getauften, verworfenen Albums auf. Viele der Songs dieser Session wurden für das Folgealbum „Busted Stuff“ verwendet. Offiziell wurden die Aufnahmen der Jahrtausendwende jedoch nie veröffentlicht, sie entwickelten sich dennoch im Laufe der Jahre zu Favoriten der Fans.

Ryley Walker interpretiert die Songsammlung der Dave Matthews Band ohne Besserwisserei

Ryley Walker, der dem Psychedelic Folk und New Weird America zugerechnete Singer-/Songwriter aus Illinois, hat nun fast zwanzig Jahre später das geleakte Album in Gänze interpretiert. Seit Anfang der 2010er-Jahre bewegt sich Walker in der Independent-, Jazz- und Experimental-Szene Chicagos und veröffentlichte 2014 sein erstes Album. Zwischen diesen Polen bewegen sich auch seine Songs, die in Arrangement und Vortrag an Jeff Buckley oder Ryan Adams erinnern. Und eben auch an die Dave Matthews Band, mit deren Songs Walker musikalisch sozialisiert wurde.

Unter dem Eindruck der Neuinterpretation der Lillywhite Sessions ist man geneigt, das Urteil über die oft als beliebig und Mainstream empfundene Dave Matthews Band zu revidieren. Ryley Walkers Versionen der Songs sind im direkten Vergleich der beiden Alben überraschend nah am Original. Mal macht Walker einem Song Beine, der bei der Dave Matthews Band eher in gemächlichem Tempo dahinfließt („Diggin‘ A Ditch“), dann entführt er einen Song Richtung Cool Jazz, der im Original eine lebendige Uptempo-Nummer ist („Grey Street“). Grundsätzlich belässt Walker die Songs aber in erkennbarem Zustand, seine Bearbeitung ist eine Hommage an eine Jugendliebe, keine Besserwisserei. Und so erfährt die Dave Matthews Band gerechterweise Würdigung aus einem musikalischen Lager, dass dem kommerziellen und gradlinigen Image dieser Band diametral gegenübersteht.

Wie beurteilt man „The Lillywhite Sessions“ von Ryley Walker abschließend? Die vorherigen Veröffentlichungen des 29-Jährigen waren eigenständiger, origineller und somit im Katalog des Musikers relevanter. Doch ist die Spielfreude und die Begeisterung über die musikalische Auseinandersetzung mit einem Jugendidol dem Album deutlich anzuhören. Es klingt wie das Durchschnaufen eines Künstlers, der auch von einer Öffentlichkeit an deren Erwartung gemessen wird. Diese Öffentlichkeit fühlt sich traditionell geschmackssicher. Und sie mochte die Dave Matthews Band nie. Man hört Querkopf Ryley Walker auch eine freundliche Schadenfreude an.

Veröffentlichung: 16. November 2018
Label: Dead Oceans

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