Gudrun Gut – „Moment“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Moment“ von Gudrun Gut

Gudrun Gut – „Moment“ (Monika)

Spätestens „Kaltes klares Wasser“, der Untergrundhit der Gruppe Malaria!, spülte Gudrun Gut in die Gewässer der bundesdeutschen Poplandschaft. Das war 1981. Seither schwimmt die vielseitige Künstlerin, Produzentin und Labelbetreiberin gegen den Strom der Massenkompatibilität. Sei es bei den Einstürzenden Neubauten, bei der Avantgarde-Punkband Mania D, ihrem Dark-Wave-Projekt Matador oder als Teil des experimentellen Elektropop-Kollektivs Ocean Club: Kollaboration und Experimente, die sinistre Randbereiche des Pop touchieren, sind die Quintessenz der Musik von Gudrun Gut.

Und eben die ist auch auf ihrem mittlerweile dritten Soloalbum „Moment“ allgegenwärtig. Das Spannungsfeld zwischen Pop und Avantgarde, in dem sich die Wahlberlinerin bewegt, präsentiert sich bereits zu Beginn des Albums. Eröffnet wird mit „Startup Loch“– ein mit gleißenden Synthflächen und organischen Schlagzeug-Sample ausgestatteter Dark-Wave-Song. Gudrun Gut singt flüsternd, stoisch vom verhängnisvollen Scheitern während eines unternehmerischen Höhenflugs und wiegt die HörerInnen dabei behutsam in einem Bett aus Raureif. Auf „Musik“, ein hypnotischer Track mit Minimal-Techno-Anleihen, erzählt die Künstlerin davon, was Musik für sie ist – „Eine Art von Traum / Eine Art von Glück“ – und was diese leisten kann: Nicht mehr und nicht weniger als das Zurückbringen in die Nacht, in der man die Unerschöpflichkeit des Seins spürt.

Pointierte Gesellschaftskritik

Dass Frauen in Saudi-Arabien endlich Auto fahren dürfen, ist der Feministin Gudrun Gut natürlich nicht entgangen. Diese Errungenschaft scheint sie dennoch als Schein-Freiheit zu lesen. Die Single „Baby I Can Drive My Car“ beginnt nämlich mit den Zeilen „Und es ist eng hier / So eng hier“, die über einem ätherischen Autotune-Chor und drückenden Bass-Synths schweben. Sie geben dem Track einen bitteren Beigeschmack. Denn nur eine Fahrt in die Wüste zeigt sich als Chance auf eine wahre, freiheitliche Erfahrung.

Die Stärke Guts, subversiv und pointiert Gesellschaftskritik in ihre Songs einzuweben, zeigt sich auch in ihrer Coverversion von David Bowies „Boys Keep Swinging“. Die fast schon sarkastische Gesangsperformance von Gut sorgt für ein Update der Kritik am „Male Privilege“, die das Original von Bowie schon 1979 anbrachte.

Neben den beschriebenen straighten, technoiden Songs finden sich auf „Moment“ auch instrumentale Tracks, die die experimentellen, klangformerischen Qualitäten Guts in den Fokus rücken: Auf „Shuttleservice“ herrscht kontrollierte Sequenzer-Autonomie, bei „Seltene Erde“ knarzen körnige Synths quer durchs Stereobild und „Backup“ beschließt das Album im Stile eines „The Young Person’s Guide To Filters – And How To Use Them“. Letztendlich ist „Moment“ in seiner einnehmenden Dichte all das, was Gudrun Guts Musik seit Beginn ihrer beeindruckenden Karriere auszeichnet: kalt, klar und fluide.

Veröffentlichung: 7. Dezember 2018
Label: Monika

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