Amyl And The Sniffers – „Cartoon Darkness“ (Rough Trade)
Achtung, es folgt eine kontroverse These: Hin und wieder ist es nicht verkehrt, das Smartphone auch mal beiseite zu legen. Derartige Ratschläge kennen einige vermutlich von wohlmeinenden, meist älteren, nahestehenden Personen. Doch nun stimmt auch eine australische Punk-Band in diesen Chor ein! Denn „Cartoon Darkness“, das dritte Album von Amyl And The Sniffers, bewegt sich auf bekannten Pfaden zeitgenössischer Medienkritik. „Es geht darum, wie unsere Generation mit Informationen vollgestopft wird“, erklärt Sängerin Amy Taylor. So weit, so bekannt.
Doch Taylor und ihre Band gehen noch ein paar Schritte weiter: Sie beobachten ein Gefühl von Hilflosigkeit. Die sozialen Medien konfrontieren ihre User*innen mit einem endlosen Feed aus aktuellen Grausamkeiten und gaukeln uns dabei vor, wir könnten durch unsere Klicks etwas ändern bzw. bewirken. Das eigene Engagement füttern am Ende aber die Tech-Giganten hinter den Plattformen. Was bleibt, ist Taubheit. Auch das ist keine neue Erkenntnis – Essays, Bücher, Thinkpieces, Podcasts und Dokus über Abstumpfung durch Social Media gibt es bereits mehr als genug. Was die Herangehensweise von Amyl And The Sniffers aber dennoch bemerkenswert macht, ist, dass sie direkt ein aktives Mittel gegen die Taubheit liefern: euphorische und aufgekratzte Rock-Musik.
Rock gegen die Taubheit
Konfrontativ waren die Songs von Amyl And The Sniffers schon immer – und „Cartoon Darkness“ beginnt in genau diesem Modus: „I don’t wanna be stuck in that negativity“, spuckt Taylor über Oldschool-Punk-Gitarren im Opener „Jerkin’“ – eine direkte Provokation an misogyne Online-Incels. Auch die Glam-Rock-Single „U Should Not Be Doing That“ ist eine Kampfansage, an den endlosen Kreislauf des Hasses im Internet: „Another person saying I’m not doing it right / Another person tryna give me some kinda internal fight“, singt Taylor, begleitet von Fuzz-Gitarren und sleazy Saxofonen. Und auch die daraus resultierende Selbstoptimierungsspirale kommt vor: „I’m working on what is wrong, what is right, and where I am / I know my worth, I’m not the worst, you told me once I was.“
Im Verlauf des Albums spielt die Band öfter mit verschiedenen Genres, vom nostalgischen The-Kinks-Throwback „Big Dreams“ über das ähnlich an Sixties-Beat erinnernde „Bailing On Me“ bis zum zwischen Robo-Rock und Disco oszillierenden Abschluss „Me And The Girls“. Doch die stärksten Momente des Albums sind die wüsten. Die, in denen Taylor mit Schaum am Mund ihrem Publikum ins Gesicht schreit und ihre Band zu brachialer Höchstform anläuft. Wie im sludgy Hardcore-Brett „It’s Mine“, das in einer Minute und 37 Sekunden glorreich in Flammen aufgeht. Oder in „Pigs“, das mit seinem Kreissägen-Gitarren-Solo auch von Iggy & The Stooges stammen könnte. Das sind mehr als nur gute Rock-Songs – das sind in Musik verwandelte Antidote gegen die Abstumpfung.
Veröffentlichung: 25. Oktober 2024
Label: Rough Trade