Björk – „Utopia“ (Rezension)

Cover von UtopiaBjörk – „Utopia“ (One Little Indian Records)

5,8

Zur Vorbereitung für ihr neues Album wagte Björk Guðmundsdóttir den postmodernsten aller Promotionschritte: Ein Interview mit sich selbst für das US-amerikanische Fashion-Magazin „W Magazine“. Zum Abschluss reflektiert die isländische Königin des Art-Pop darin über den künstlerischen Balanceakt mit der Verletzlichkeit: Die Kunst, sich zu öffnen ohne dabei zu implodieren. Björks letztes Album „Vulnicura“ wurde diesem Zirkusakt gerecht: Es war ein hochpersönliches Trennungsalbum, auf dem sie großen Verlust in große Kunst verwandelte. Auf ihrem neunten Langspieler „Utopia“ überwindet sie diesen Herzschmerz mit emotionalem Maximalismus – und explodiert dabei leider mit maximaler Reizüberflutung.

Maximalismus ist dabei nicht neu für Björk. Seit ihrem offiziellen ersten Solo-Outing „Debüt“ aus dem Jahr 1993 hat sie sich konstant in die Größe entwickelt: Vom maschinellen Trip-Hop von „Homogenic“ über das A-Capella-Experiment „Medúlla“ bis zum herzzerreißenden „Vulnicura“ hat sich die Künstlerin stets geweigert, auf der Stelle zu treten, war immer auf der Suche nach einem neuen Sound. Björks „Utopia“ ist aber auch im Vergleich zu ihren vorigen Werken ein beeindruckend großes Reich geworden: Die 14 Songs erstrecken sich über 71 Minuten, und diese Länge wird „Utopia“ leider zum Verhängnis.

Der erste Song „Awaken My Senses“ ist das musikalische Äquivalent zum Aufwachen aus einem langen Koma: Wolken aus Streichern, Harfen, Synthesizern und desorientierenden Breakbeats detonieren in grellen Klangfarben. Björks gleißend heller Gesang komplettiert den sensory overload – immer wenn der Song in seinen ruhigen Passagen zu atmen beginnt, wird man erneut von auditiven Dampfwalzen überrollt.

Es folgen die Singles „Blissing Me“ und „The Gate“, die in deutlich schönerem Gewand daherkommen. Die Songs zeigen Björk auf dem Zenit ihres Schaffens: In gewohnter Manier verschmilzt sie Folk und Industrial zu atemberaubenden Art-Pop-Epen, in denen kalte Computer-Drums von zarten Harfen- und Flötenklängen umschmiegt werden. Letztere ziehen sich wie ein roter Faden durch Björks „Utopia“: Extra für dieses Album hat sie ein aus zwölf Musikerinnen bestehendes Holzbläser-Orchester versammelt, die auf nahezu jedem Song zu hören sind. Textlich scheinen die beiden Singles eine Antithese zum Verlust von „Vulnicura“ zu sein, denn Björk singt über den Zauber zwischenmenschlicher Verbindungen: „Did I just fall in love with love?“, fragt sie in „Blissing Me“.

Leider ist die Länge des Albums fernab von einigen Höhepunkten jederzeit spürbar: Ihr „Utopia“ ist ein Ort des emotionalen Exzesses, die omnipräsenten Flöten und Harfen und ekstatischen Gesänge sind aber leider öfter emotional überwältigend als emotional befriedigend. Nach diesen 71 Minuten ist man spürbar ausgelaugt, von Reizen überflutet. „Utopia“ ist ein Ort, an dem es zwar viel zu entdecken und viel zu lieben gibt, den man aber nicht oft besuchen kann. Er raubt einem konstant den Atem und ist damit manchmal einfach zu anstrengend.

Veröffentlichung: 24. November 2017
Label: One Little Indian Records

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