Godspeed You! Black Emperor – „G_d’s Pee At State’s End“ (Rezension)

Bild des Albumcovers von „G_d's Pee At State's End“ von Godspeed You! Black Emperor

Godspeed You! Black Emperor – „G_d’s Pee At State’s End“ (Constellation Records)

8,6

Godspeed You! Black Emperor machten schon immer Musik für die Apokalypse. Das Ende der Welt, das das kanadische Post-Rock-Kollektiv seit einem Vierteljahrhundert zeichnet, ist nicht die Vision, die auf Kinoleinwänden erzählt wird. Keine Sci-Fi-Dystopie. Kein Zombie-Chaos. Godspeed You! Black Emperor spielen den Soundtrack des untergehenden Spät-Kapitalismus. Ihre Musik ist größtenteils wortlos, doch ihre undurchdringliche, erdrückende Atmosphäre spricht eine unmissverständliche Sprache. Wenn dann doch Wörter fallen, in Samples oder in den die LPs begleitenden Manifesten, wird es noch deutlicher: „We’re trapped in the belly of this horrible machine / And the machine is bleeding to death“, sprach eine tiefe Stimme zu Beginn ihres 1997er Debütalbums „F♯A♯∞“. „I open up my wallet / And it’s full of blood.“

Dieses Gespür für Atmosphäre ist der Band in den vergangenen Jahren etwas abhanden gekommen. Seitdem Godspeed You! Black Emperor im Jahr 2010 eine achtjährige Bandpause beendeten, veröffentlichten sie drei LPs – die allesamt höchst monumental klangen, aber ein ganz bestimmtes Element vermissen ließen. „’Allelujah! Don’t Bend! Ascend!“, „Asunder, Sweet And Other Distress“ und „Luciferean Towers“ waren mächtige Instrumental-Epen, kamen jedoch ohne die Samples und Tape-Collagen aus, die die ersten Platten dieser Band so dicht und atmosphärisch gemacht hatten. In ihrer stetigen Leise-Laut-Dynamik wirkten sie fast ein bisschen inhaltsleer.

Die Apokalypse ist now!

Vorhang auf für „G_d’s Pee At State‘s End!“, das siebte Album von Godspeed You! Black Emperor – und ihr kraftvollstes seit 20 Jahren. Vielleicht ist es die von einer globalen Pandemie verursachte, gedrückte Stimmung, die diesem Album solch eine Dringlichkeit verleiht. Auch „G_d‘s Pee At State‘s End!“ ist mit einem Manifest ausgestattet. Lasen sich ihre Worte früher wie unheilvolle Zukunftsbotschaften, bekommen sie heute das Gewicht der Realität. „Wir schrieben es größtenteils, als wir unterwegs waren. Als das noch möglich war. Und nahmen es dann später, geschützt durch Masken und mit Abstand zueinander am Anfang der zweiten Welle auf“, heißt es da. Vor zwei Jahren hätten diese Worte noch wie die für diese Band typische Weltuntergangspoesie gewirkt. Nun kommen sie einem ganz schön bekannt vor.

Doch mehr noch als der generelle Zustand der Welt ist es die pure Musik, mit der Godspeed You! Black Emperor auf diesem Album so mächtig wirken. Das Album beginnt mit dem eingängig betitelten Stück „A Military Alphabet (Five Eyes All Blind) (4521.0kHz 6730.0kHz 4109.09kHz) / Job’s Lament / First Of The Last Glaciers / Where We Break How We Shine (Rockets For Mary)“, ein zwanzigminütiger Höllentrip, der mit einer geisterhaft verzerrten Radio-Andacht beginnt, in ein triumphales Post-Rock-Gewitter mündet und mit gesampletem Artillerie-Feuer endet – kontrastiert mit idyllischem Vogelgezwitscher. Die Band lässt sich unglaublich viel Zeit, Spannung aufzubauen. Ambient-Drones und verhallte Stimmen spuken wie Geister durch diese Musik. Und wenn sie dann die großen Fuzz-Geschütze auffahren, knallt es umso mehr.

Abgrund und Hoffnung

Auch der zweite Zwanzigminüter dieses Albums funktioniert auf diese Weise. „‘Government Came‘ (9980.0kHz 3617.1kHz 4521.0 kHz) / Cliffs Gaze / Cliffs‘ Gaze At Empty Waters‘ Rise / Ashes To Sea Or Nearer To Thee“ beginnt erst mit einer desorientierenden Collage, zusammengesetzt aus jubelnden Stimmen und Radiorauschen – bis ein kräftiger E-Bass-Hammerschlag den Nebel zerschneidet. Mehr noch als im Eröffnungsstück scheint hier Euphorie durch: Die drei E-Gitarren, zwei E-Bässe, zwei Schlagzeuge und eine Violine strahlen im Finale in den hellsten Farben. Godspeed You! Black Emperor sind keine Nihilist*innen. Auch in dem von Gier und Hass zerfressenen Albtraum, den ihre Musik zum größten Teil beschreibt, gibt es Raum für Triumph. Für Hoffnung.

Neben diesen zwei Mammutsongs gibt es auf diesem Album noch zwei kürzere Stücke. Ersteres heißt „Fire At Static Valley“, eine schleppende, erdrückende Drone-Exkursion. Zweiteres heißt „Our Side Has To Win (For D.H.)“, der letzte Track auf „G_d’s Pee At State‘s End!“ – er beendet die LP mit überraschend zarten Streicherklängen. Das ist, was diese Band in ihrer Hochform von all den anderen Post-Rock-Schwergemütern und Apokalypsen-Fanatiker*innen abhebt: Sie zeigen mehr als nur die Abgründe der Gegenwart. Wer Godspeed You! Black Emperor schon einmal live erlebt hat, weiß, welches Wort zu Beginn eines Konzerts auf die Bandmitglieder projiziert wird: „Hope“.

Veröffentlichung: 2. April 2021
Label: Constellation Records

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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