Hamburg kommt in die Gänge

Von hannawangemann, 2. Oktober 2009

Das zumindest hoffen die meisten Hamburger, denn in den letzten Jahren muss man sich dort wie in so vielen Großstädten weltweit fragen: Wem gehört diese Stadt eigentlich?

Es fängt immer ganz nett an: altes Viertel, niedrige Mieten. Das lockt Künstler, Studenten, kreatives Volk. Auf einmal tut sich etwas in der Gegend, alles wird ganz hip, statt asiatischer Lebensmittel gibt es amerikanische Kleidungsstücke. Investoren investieren, wer es sich leisten kann, zieht in die frisch renovierte Altbauwohnung im angesagtesten Viertel der Stadt. Und was ist mit denen, die es sich nicht leisten können? Bye bye, birdy! St. Pauli gilt in Hamburg als trauriges Paradebeispiel für die sogenannte Gentrifizierung oder Reurbanisierung, für die gezielte Aufwertung zentral gelegener Stadtteile. „In St. Pauli sind in den vergangenen Jahren die Mieten um mehr als das Doppelte gestiegen, während die Zahl der Sozialwohnungen von 17,4 auf 15,3 Prozent fiel. Der Anteil von Migranten sank zwischen 1997 und 2007 von 42,2 Prozent auf 27,1. Ein Trend, der sich noch verschärfen wird“, schreibt die Frankfurter Rundschau aktuell. Das Schanzenviertel ist Hamburgs Antwort auf den Prenzlauer Berg in Berlin. Und was kommt als nächstes?

Die Frage haben sich die Hamburger auch gestellt und entsprechend auf die Antwort reagiert. Gegen den geplanten Ikeabau in der Altonaer Altstadt wird heftig protestiert, so dass die Planung erst einmal für drei Monate auf Eis gelegt wurde. Wesentlich mehr tut sich im Gängeviertel. Circa 12 Gebäude umfassend, mitten in der Innenstadt gelegen, seit 7 Jahren leerstehend. Seit 7 Jahren leerstehend, während in Hamburg akuter Wohnungsnotstand herrscht? Die angepeilte Lösung der Stadt war ein Verkauf an den meistbietenden Investor. Da dieser aber nun nicht zahlt, besteht Hoffnung für die momentanen Anwohner. Seit August halten rund 200 Hamburger Künstler die Gebäude friedlich besetzt. Statt Krawall locken geöffnete Türen, öffentliche Filmvorführungen und Besuche von Schulklassen. Die Räume werden genutzt und nutzbar gemacht. „Hamburg verscherbelt sein kulturelles Erbe oder lässt es verwahrlosen“, sagt Marion Walter, eine der Hausbesetzerinnen, „wir wollen es erhalten. Und es geht um mehr als das: Es kann nicht sein, dass Gebäude in der Innenstadt leerstehen, während immer mehr Hamburger sich ihre Mieten nicht mehr leisten können.“

Es tut sich also einiges in der Hansestadt. Auch Hamburgs musikalische Front lässt sich nicht lumpen. Jan Delay ruft zum Erhalt der Clubs unter der Sternbrücke auf. Einer davon zierte das Cover seines letzten Albums. Und Tocotronic spielen zum 20. Jubiläum der Roten Flora. Thies Mynther, Musiker und Produzent u.a. bei Superpunk und Phantom/Ghost, engagiert sich bei der Interessensgemeinschaft no-bnq gegen das geplante Bernhard-Nocht-Quartier und für ein bezahlbares St. Pauli. Dafür steigen auch gerne die Goldenen Zitronen auf die Bühne und Rocko Schamoni macht sich derweil Gedanken, wie man einen Stadtteil retten kann.

Ein Signal das glücklicherweise über die Grenzen Hamburgs hinaus gehört wird und hoffentlich Nachahmer finden wird. Denn wem gehört schließlich die Stadt? Allen!

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Diskussionen

0 Kommentare
  1. posted by
    Christoph
    Okt 2, 2009 Reply

    Super Artikel, schön geschrieben!

  2. posted by
    Migrantenkind
    Okt 3, 2009 Reply

    „… St. Pauli sind in den vergangenen Jahren die Mieten um mehr als das Doppelte gestiegen, während die Zahl der Sozialwohnungen von 17,4 auf 15,3 Prozent fiel. Der Anteil von Migranten sank zwischen 1997 und 2007 von 42,2 Prozent auf 27,1“

    man könnte den eindruck kriegen als wäre es etwas gutes ne hohe sozialwohnungs und migrantendichte in einem stadtteil zu haben… als jemand der in mümmelmannsbergaufgewachsen ist kann ich defintiv bestätigen dass dem nicht so ist.

    ich bin ja auch gegen eine „ver-latte-machiattoisierung“ der schanze, aber dieses sinnlose gebashe gegen gentrifzierung und strukturwandel is doch nur reaktionäres gedöhns! nur dass diesmal das gedöhns nicht von der konservativen rechten kommt sondern von der linken (was zeigt dass auch die linke von reaktionärem denken nicht ausgeschlossen ist).

    strukturwandel hat es immer gegeben und wird es immer geben. und wo wandel ist ergeben sich auch möglichkeiten.
    also… wandel mitgestalten statt nur zu meckern und sich dagegenzustellen mit einer „alles beim alten lass“ mentalität.

  3. posted by
    kevin
    Okt 3, 2009 Reply

    wer spricht denn hier noch von “ver-latte-machiattoisierung”, ist das nicht schon vor jahren mit der schanze passiert?
    Ich kann mich daran erinnern als jugendlicher anfang der 90er schon, extra nur nach hh ins schanzenviertel gefahren zu sein um dort mit vollen einkaufstüten rumzulaufen, toll war das.
    Als ich dann anfang der 00er hier her zog, hat es mich eher genervt, dass wenn ich von der arbeit kam und nur nach hause wollte, die strassen und bürgersteige voll waren (sind) mit eben diesen Leuten die nur zum Bummeln, Kaffee trinken und sich zeigen, im weg stehen, alles verstopfen und schickimachen.
    aber ich habe es so verstanden dass es mittlerweile um diese anti posh sache nicht mehr geht.

    sondern darum das menschen die hier seit jahren, sogar jahrzenten ja sogar ihr ganzen leben schon wohnen, durch unbezahlbare Mieten und Umgestalltung der Viertel verdrängt werden. und das finde ich persönlich nicht gut. deshalb finde ich ist dieser, wie so viele andere, artikel zu diesem thema wichtig. genauso wichtig wie das erste und das zweite schanzenfest dieses jahr. genauso wie veranstalltungen mit dem namen: „recht auf stadt“, die no-bnq usw….

    ich finde nicht dass hier nur um reaktionäres gedöhns geht und erst recht nicht dass man es mit rechter politik über einen kam scherren sollte…

  4. posted by
    justus jonas
    Okt 3, 2009 Reply

    @migrantenkind, wo lassen den z.b. die besetzer des gängeviertels etwas beim alten?

  5. posted by
    Mark vom Sommer in Hamburg Magazin
    Okt 4, 2009 Reply

    Na, an das Lob und so kann man sich nur anschließen wenn man jung, modern, engagiert und irgendwie toll sein will.

    Ansonsten kann man alles auch etwas differenzierter betrachten und einen eigenen Standpunkt einnehmen! Dies hier sieht nur so aus wie einer …

  6. posted by
    Otis
    Okt 4, 2009 Reply

    Ja aber wie ist er denn nun, der Standpunkt?

    Differenziert und so, und ganz unjung, unmodern, unengagiert und irgendwie untoll …

  7. posted by
    Redaktion
    Okt 20, 2009 Reply

    Wie heute Morgen bekannt wurde, hat der holländische Investor nun doch die fällige zweite Rate gezahlt. Damit bleibt die Zukunft des Gängeviertels samt seiner Besetzer offen. Nähere Informationen sollte es nach einer Senatssitzung am Nachmittag geben.

  8. posted by
    Not In Our Name, Marke Hamburg! : ByteFM Magazin
    Okt 29, 2009 Reply

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