Stephen Samuel Gordon alias The Spaceape (Foto: Manuel Sepulveda)
„He gave his body over to science
He said from now ‚I’ll be compliant‘
No change of heart or acts of defiance
He gave his body over to science“
Manchmal ist die Kunst der Wirklichkeit voraus. Als der Beatpoet Stephen Samuel Gordon alias The Spaceape vor zwei Jahren diese Zeilen schrieb, war das „He“ längst ein „I“. Gordon war an einer seltenen Form von Krebs erkrankt und wusste: Die Selbstaufgabe, die Übergabe des kranken Körpers an die Wissenschaft, der Kampf gegen sich selbst, würde seine letzte Chance sein. Ein Kampf, den Gordon am 2. Oktober schließlich verlor. Er hinterlässt eine Ehefrau und seine sechs Jahre alte Tochter – sowie eine große Zahl von Menschen, die mithilfe seiner Worte die Welt aus neuen Perspektiven sehen lernten.
Gordon stand in der Tradition der Dub-Poesie und knüpfte mit seinen sozialkritischen Texten zwischen Ich- und Fremdwahrnehmung an Künstler wie den britisch-jamaikanischen Dichter Linton Kwesi Johnson („Inglan Is A Bitch“) an. Gordons Stimme war stets so tief wie die Subbässe in der Musik, die sie begleitete. Seine Texte, poesiegewordene Reflektionen der Gegenwart. 2004 erschien der zusammen mit Dubstep-Pionier Kode9 produzierte Track „Sine Of The Dub“ – ein abstraktes Cover von Prince’ „Sign O’ The Times“, das mit seinem pulsierenden Subbass Zeilen wie „When a rocket ship explodes, yet everybody still wants to fly“ zu einer lyrischen Klangcollage mutieren lässt. Es war nicht nur die erste Veröffentlichung eines der vitalsten Independent-Labels der Nullerjahre (Hyperdub), sondern auch der Beginn einer neuen Ära in der Clubmusik. Denn mit dem frühen Dubstep und seinen im Club körperlich radikal spürbaren Bässen, ließ sich Euphorie und Paranoia wunderbar vereinen.
2006 folgte mit „Memories Of The Future“ das erste Album von Kode9 & The Spaceape. Inspiriert von den Texten von Phillip K. Dick und William S. Burroughs sowie Filmen von David Cronenberg, Michael Haneke und Akira Kurosawa wurde das Album zur perfekten Projektionsfläche einer immer paranoider werdenden Gesellschaft. Dubstep im Club war mit seiner akustischen Überwältigung immer auch eine Katharsis, eine Möglichkeit, das Unbehagen in der Kultur in Genuss umzuwandeln. Gordons Lyrik ermöglichte Dubstep, diese Mutation aus UK Garage und Jungle, Eskapismus und Realismus zur selben Zeit zu sein. Texte, die vor der Grimasse der Gegenwart nicht flüchten, sondern ihr einen Spiegel entgegenhalten.
„As a child i was always happy-go-lucky,
as a man i believe i am just plain lucky
alive inside of this ya dangerous system,
locked in and I’m twisted out of all recognition.
See this is systematic of the tings I have seen
I am lost in Paranoia’s most beautiful dream.“ (Aus: „Portal“)
Nach „Black Sun“, dem weniger apokalyptischen als postapokalyptischen Album mit Kode9, veröffentlichte Gordon 2012 die EP „Xorcism“ – ein musikgewordener Exorzismus seiner Dämonen, die in Stevens Fall keine Metaphern waren, sondern eine seltene Form von Krebs. Die lyrische Abstraktion ist einem Realismus gewichen:
„I’ve been dreaming of a wonderful life,
Live in peace with a child and a beautiful wife
But life’s a liar baby, life’s a cheat
Making promises it cannot keep.“ (Aus: „On The Run“)
Doch Stephen Gordon blieb bis zuletzt produktiv. Am 27. Oktober erscheint mit „Killing Season“ eine neue EP von Kode9 & The Spaceape. Doch im Dub, der Musik, in der Gordon fest verwurzelt war und in der jedes Soundsample immer schon die Grundzutaten für das nächste enthält, ist ohnehin alles unsterblich. Und wer weiß, vielleicht werden seine Texte auch in hundert Jahren noch in Tracks zu hören sein, als memories of the future.