James Blake – „Playing Robots Into Heaven“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 11. September 2023

Cover des Albums „Playing Robots Into Heaven“ von James Blake, das unser ByteFM Album der Woche ist.

James Blake – „Playing Robots Into Heaven“ (Republic Records)

Sehr lange galt die Kirchenorgel als komplexeste von Menschenhänden erbaute Konstruktion. Ein überdimensionaler, über den Köpfen der Kirchengemeinde türmender Koloss, der mit seinen mehreren Hundert Pfeifen die Stimme Gottes auf Erden simulierte. Die ersten Orgeln, vor der Einführung des Blasebalgs, mussten noch von zwei Menschen gleichzeitig gespielt werden, da das Herunterdrücken einer einzigen Taste die Kraft eines ganzen Armes erforderte. Kaum vorzustellen, wie überwältigend und unerklärlich dieser Klang auf die Ohren der spätmittelalterlichen Bevölkerung gewirkt haben muss.

Doch dann kam im 19. Jahrhundert das Telefon. Die neue komplexeste Erfindung, die mehr oder weniger die Kettenreaktion anstieß, die uns heute zu dem Bildschirm bringt, auf dem Ihr gerade diesen Text lest. Gott starb, das Maschinenzeitalter begann.

Eine Ära, in der James Blake zu Hause ist. Mit seinen ersten EPs wie „Klavierwerke“ oder „CMYK“ und seinem selbstbetitelten 2011er Debütalbum zeigte sich der britische Singer-Songwriter- und Produzent als Meister der emotionalen elektronischen Musik. Es war ein biependes, klackerndes, rauschendes Echo des Dubstep, weniger für den Dancefloor, eher für den melancholischen Heimweg. Wie sein Post-Dubstep-Kollege Burial nutzte er die Kraft der Leerstellen. Seine nicht göttliche, sondern sehr menschliche, zerbrechliche Falsett-Stimme spukte wie ein Geist durch die Maschinen und hauchte den kalten Klängen Leben ein.

Geist in der Maschine

Diese Klänge machten Blake bizarrerweise zu einem Pop-Star. Seine LPs wurden über die Jahre vielseitiger, tauschten die zarte Elektronik gegen R&B. Musik-Gigant*innen wie Beyoncé, Travis Scott und Frank Ocean schwören auf seine Produktions-Skills. Sechsmal wurde er für den Grammy Award nominiert, einen davon gewann er (für die Single „King’s Dead“ mit Kendrick Lamar, Future und Jay Rock). Diese Transformation brachte sehr viel gute Musik mit sich, wie zuletzt 2021 mit dem umwerfend schönen Album „Friends That Break Your Heart“. Doch nun, auf seiner sechsten Solo-LP „Playing Robots Into Heaven“, kehrt er zu der berührenden Maschinenmusik zurück, die einst seinen rasanten Aufstieg einleitete.

Was nicht bedeutet, dass „Playing Robots Into Heaven“ ein schlichtes Sequel zu „James Blake“ ist. Stattdessen vereint er die Pop-Sensibilität seines Spätwerks mit der Ästhetik seiner Anfangstage. „Asking To Break“ eröffnet das Album mit einer Kombination aus warmen Klavierakkorden und subtil rauschenden Beats. „Loading“ oszilliert zwischen sanft pushenden House-Drums und einer glitchy, zerraspelten und trotzdem eingängigen R&B-Hook. Anderswo findet er neue Formen für seine experimentellen Ansätze, speziell in den zahlreichen instrumentalen Tracks. So wie in „He’s Been Wonderful“, einer Verschmelzung von Post-Dubstep und Trap.

Computerschränke und Kirchenorgeln

Was diese Songs am meisten mit Blakes Frühwerk eint, ist aber die konstante Ruhe, die sich durch das Album zieht. „Playing Robots Into Heaven“ ist der Sound von meditierenden Computern, bedient von einem nachdenklichen Menschen. Selbst die erste Single „Big Hammer“, eine seltsame, sampellastige Dancehall-Variation, kommt bei all den chaotisch geschwurbelten Vocal-Loops nicht aus der Fassung. Und dort, in der wiederkehrenden Stille, findet sich die Melancholie, die Blakes erste Tracks so besonders machte.

Und dann ist da noch der das Album abschließende Titeltrack. Ein schwereloses, fast an eine Johann-Sebastian-Bach-Fuge erinnerndes Stück. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man denken, dass hier eine Kirchenorgel erklingt. Tut sie natürlich nicht. Blake spielt hier einen Modularsynthesizer. Diese großen, mit unzähligen Kabeln gespickten Computerschränke, deren Funktionsweise für viele Menschen heutzutage genauso unerklärlich ist wie für die Menschen des Mittelalters die Kirchenorgel. Es ist der minimalistischste Song des Albums, ohne Gesang, ohne Beat. Blake lässt uns alleine mit der Maschine und ihren unfassbar schönen Klängen. Mit dem Roboter, der sich selbst in den Himmel spielt.

Veröffentlichung: 8. September 2023
Label: Republic Records

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    Mario
    Sep 11, 2023 Reply

    Schön geschrieben, tolles Ende!

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