Neue Platten: Sebastian Lind – "I Will Follow"

Von Marie Glassl, 11. Juli 2012

ColumbiaColumbia

6,0

Ein wunderschöner, junger, blonder Musiker, aus dem wunderschönen Land aller wunderschönen, jungen, talentierten Künstler: Dänemark, der wunderschöne, junge und talentierte Singer-Songwriter-Musik macht – die natürlich besonders ist und gar nicht wie die all der anderen, jungen, singenden und songwritenden Schönlinge aus dem musikalisch äußerst talentierten Norden klingt.

Das klingt jetzt alles gar nicht wunderschön – sondern eher gruselig? Und auch nicht jung, sondern so, als sei es die wahrscheinlich älteste und ausgenudeltste Beschreibung aller Männer mit Gitarre und traumatisch-melancholischen Lebenserfahrungen? Stimmt – und es ist zugegebenermaßen ein wenig übertrieben. Man verstehe das bitte nicht falsch, wie die meistens Menschen habe ich nichts gegen gutes Singer-Songwritertum, aber irgendwann reicht es eben auch mal; um in marktspezifischen Termini zu sprechen: Da herrscht ein deutliches Überangebot.

„Ich bin kein Singer-Songwriter im klassischen Sinne. Dafür schiebt mir die Wundertüte Pop allmorgendlich zu viele unterschiedliche Spielweisen durch die Studio-Eingangstür“, sagt ebenjener Sebastian Lind über sich selbst – und darin liegt vielleicht die Tatsache begründet, dass er eben doch nicht klingt wie „alle anderen“ Gitarre spielenden Singer-Songwriter-Menschen (auch wenn mir gerade keiner einfällt, der denn tatsächlich so wäre; vielleicht sind sie schon zu einer alles umflutenden, nicht identifizierbaren Masse geworden). Sein selbstbetiteltes Debütalbum erschien 2010 beim Riesen-Label Universal, eigentlich ein Traum für einen unbekannten Musiker. Lind, ganz freiheitsliebende Künstlerseele, fühlte sich eingeengt, unter Druck gesetzt und festgelegt – und nahm das zweite Album „I Will Follow“ selbst in die Hand.

Nicht nur hat er Songs und Texte selbst geschrieben, auch Produktion, Artwork und Merchandise hat Lind unter Eigenregie vereint. Das ist durchaus bemerkenswert. Und so ist „I Will Follow“ zwar ein sehr melancholisches und instrumental beschränktes Album, hat aber mehr zu bieten als traurige Lyrics und Gitarrengeschrammel. Lind hat sich neben seiner Gitarre einige Loop- und Effektgeräte zugelegt, an denen er nun herumfrickelt und seiner Musik damit einen schönen elektronischen Beigeschmack verpasst. Der junge Däne schafft es, diese Mischung aus Gesang, Gitarre und Elektronik in genau dem richtigen Maße einzusetzen – und so erscheinen seine Song reduziert, nie überproduziert, manchmal beinahe unfertig. Sie lassen viel Spielraum für eigene Interpretationen, Ideen und Gefühle, denn das ist es auch, was Lind erreichen möchte: Musik, die „Reisebegleiter“ sein kann, die durch die persönlichen Erlebnisse des Tages oder der Nacht trägt und in diesen Bedeutung erlangt. Was nicht heißt, dass die Stücke selbst leer und ohne Inhalt wären, sie sind nur nicht plakativ, sondern lassen Raum für Subjektives.

Lind verlässt sich auf seine wirklich bemerkenswert schöne, samtige Stimme, die uns durch elf abwechslungsreiche, mal mehr, mal weniger elektronische Songs trägt. Einige begleitet von der Gitarre, einige orchestral instrumentiert, immer unterlegt mit nachdenklichen Texten, die viel von Selbstfindung und unseren Gefühlen handeln.

Damit schafft er ein Album, das darauf wartet, dass es sich der Hörer aneignet, und das ganz hervorragend zu Augenblicken des Lebens passt, in denen man über sich selbst reflektieren und schöne Musik hören möchte. Und zu Zugfahrten, und zu Regen an der Fensterscheibe, und zu Herbstspaziergängen; was jetzt doch wieder nach Singer-Songwriter klingt – aber man muss das Rad ja auch nicht immer neu erfinden.

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