Schnitt – „Wand“ (Rezension)

Cover des Albums „Wand“ der Band Schnitt

Schnitt – „Wand“ (Alien Transistor)

8,0

Die Wahl einsilbiger Substantive als Bandname und Albumtitel lässt erst einmal eine gewisse Härte vermuten. Und wer nur kurz in das Titelstück des neuen Albums des Augsburger Instrumental-Duos Moritz Illner und Markus Christ hineinhört, bekommt diesen Eindruck bestätigt: monoton vor sich hin stotternde Trompetentöne, die zwar kurz durch eine weich geblasene Melodie kontrastiert werden, dann aber gleich in ein stoisch geradeaus gespieltes Schlagzeug, elektronisches Bassbrummen und allerlei Störgeräuschen überleiten. Das klingt nach struppiger, sperriger Musik, irgendwo zwischen Jazz-Improvisation, Post-Rock und Noise.

Das ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Illner und Christ (Ersterer betreibt im Hauptberuf übrigens das Augsburger Mastering- und Vinylschnittstudio Duophonic) beweisen auf dem Rest des Albums nämlich, wie eingängig ihr von Reduktion und Klangexperimenten bestimmter Sound doch sein kann. Das Bemerkenswerteste daran vielleicht: Illner treibt mit Schnitt Techniken des Turntablism auf die Spitze, indem er seinen Mitmusiker aufnimmt, die Sounds per Vinylschnittmaschine in Echtzeit auf eine Schallplatte überträgt und die so entstandenen Versatzstücke und Loops dann wieder durch Abspielen der Tonträger in den Mix zurückgibt. Physischer und unmittelbarer geht Sampling wahrscheinlich nicht.

Ursprünglich basierte das musikalische Konzept von Schnitt dabei stark auf Improvisation. Das änderte sich aber bereits leicht auf dem 2016 auf dem Experimental-Label Kollaps erschienenen Album „Ømuås“. Neben 13 „rohen“ Loops auf der B-Seite präsentierten die beiden Musiker hier bereits auch durchkomponierte, mit Mitteln von Post-Rock und Minimal-Musik arbeitende Stücke.

Turntablism extrem

Mit breiter Instrumentierung (u. a. Bassklarinette, Trompete, Fender Rhodes, analog Synthesizer, Schlagzeug) setzen Illner und Christ diese Entwicklung nun auf „Wand“ fort. Bei all den Möglichkeiten, die sich ihnen dabei bieten, bleiben die Stücke jedoch angenehm kurz (die längeren dauern gerade mal knapp über drei Minuten) und konkret. Rauen Noise-Collagen wie „Unwucht“ oder „Insekt“, die raues Kratzen, Kabelbrummen, fieses Geknatter und minimale Stotter-Grooves miteinander verbinden und dabei vor allem ein Gefühl der Fremdartigkeit hinterlassen, stehen eingängige Songminiaturen wie „Splitter“ oder „Raus“ gegenüber. Hier gibt es mal einen wehmütigen Bläsersatz à la Tied & Tickled Trio oder weich getupfte E-Piano-Akkorde zu hören, die einen Gegenpol zur sonst harschen Geräuschkulisse bilden. Das Spektrum reicht von improvisiert klingendem Free-Jazz, der so auch aus Berlins Echtzeit-Musikszene stammen könnte bis hin zu beinah poppigen, durchkomponierten Liedern wie „Saum“, dem vielleicht eingängigsten Stück der Platte.

„Wand” ist sicherlich kein leicht nebenbei zu konsumierendes Werk, für LiebhaberInnen experimenteller Klänge aber auch keine allzu harte Kost. Während das Vinylschnitt-Konzept vor allem spannende Konzerte verspricht, überzeugt das Album an sich durch Minimalismus und seinen klaren Klang. Jedes Stück kommt in nur wenigen Minuten auf den Punkt, wobei die breite Klangpalette zwischen abstraktem Knistern und elegischen Melodien so schnell keine Langeweile aufkommen lässt und sogar kurze, wiedererkennbar Pop-Momente bietet. Ein toller Balanceakt.

Veröffentlichung: 5. Juli 2019
Label: Alien Transistor

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