Was ist Musik "Über Pop-Musik"

Diedrich Diederichsen spricht über sein neues Buch

„Pop-Musik-Performer sind Schauspieler, die eine Rolle spielen, und zugleich verlangt man eine authentische Beziehung zwischen ihrer Bühnenpersona mit ihrer privaten Person. Pop-Musik-Phänomene sind niemals komplett ohne die Fans, die die in den Texten beschriebenen Verhältnisse in der Wirklichkeit vervollständigen. Zur Pop-Musik gehört anders als zu anderer Musik, dass man sie ohne illustrierende Bilder nicht hören kann. Wenn man nicht wissen will, wie die Musiker aussehen, so die Faustregel, dann ist es keine Pop-Musik.

Dieser Komplex aus Überschreitungen der Kunst-Wirklichkeit-Grenze, der Theater-Performance-Grenze, der Bild-Ton-Grenze, der Grenze zwischen Konstitutiv bedeutungsoffenen Klängen und genau codierten Sounds etc. stellt als Ganzes ebenso eine Ausprägung von Kulturindustrie wie eine (künstlerische) Disziplin dar, die, wenn es so etwas überhaupt gibt, einen immanenten künstlerischen Fortschritt dann entwickeln kann, wenn sie ihre eigenen Grenzen und Gesetze verstehen lernt und sich nicht weiterhin mit Musik-Musik verwechselt.“

Einer von vielen Hits auf knapp 500 Seiten „Über Pop-Musik“ – nur echt mit Bindestrich -, das neue Buch von Diedrich Diederichsen. Bei „Was ist Musik“ beantwortet der Autor die Frage nach dem Bindestrich so:

„Mir ging es darum, einen Gegenstand zu definieren, der weder Musik ist noch Pop. Eine der Grundideen ist dass Pop-Musik eine Konstellation ist aus verschiedenen künstlerischen, kulturellen und sozialen Praktiken, die aber von den den Rezipientinnen zusammengesetzt werden müssen, also die keine Einheit ergeben. Bei der Pop-Musik gibt es Bilder, Plattencover, Texte, Rhythmen, Ideen, Gerüche, Slogans und Hörsituationen in privaten und öffentlichen Räumen, dies alles wird durch nichts zusammengehalten, erst die Rezipienten setzen es zusammen. Es ist ein Molekül und dazu gehören die Bindestriche (lacht) zwischen den Komponenten und genau das ist der Bindestrich des Buchtitels.“

Denken macht Spaß, hat irgendjemand mal gesagt. „Über Popmusik“ macht Spaß, weil man einem klugen Menschen beim Denken zuschauen kann. Manchmal denkt man beim Lesen schon weiter, um dann festzustellen, dass Diederichsen genau in diese Richtung weiter schreibt – und die Schraube dann doch noch mal weiter dreht. Wenn er mit Hörbeispielen argumentiert, dann möchte man am liebsten genau diese Platte genau in diesem Moment noch mal auflegen.

Diederichsen nähert sich seinem Gegenstand auf vielerlei Art: er erzählt autobiografisch und bedient sich der Kritischen Theorie, Adorno sitzt gewissermaßen mit am Tisch, die Psychoanalyse wird genauso herangezogen wie Geschichtsphilosophie und Zeichentheorie. Und immer wieder: eigene Erfahrungen mit Pop-Musik, alleine, in Gruppen, tags und nachts, nüchtern, weniger nüchtern. Vom „Opus Magnum“ spricht Thomas Groß in der ZEIT. Soeben wurde das Buch für den Preis der Leipziger Buchmesse 2014 nominiert, die Jury begründete das so. "Pop-Art, Pop-Musik: Pop galt bislang als ästhetische Unterkategorie. Nun nicht mehr. Mit hohem intellektuellen Einsatz und stupenden Detailwissen stellt Diederichsen Pop als Phänomen sui generis dar."

In „Was ist Musik“ spricht Diedrich Diederichsen über frühkindliche Pop-Spiele mit seinem kleinen Bruder, über „die Grundfrage jeder Pop-Musik: Was ist das denn für ein Typ? Was für ein Lebensentwurf wird uns denn da präsentiert?“