Orcas – „Yearling“ (Morr Music)
6,2
Die erste Orcas-Veröffentlichung war eine Cover-Version des Broadcast-Songs „Until Then“ und erschien zu Ehren der Sängerin Trish Keenan nur eine Woche nach deren Tod im Januar 2011. Es ist eine grandiose Interpretation eines ohnehin tollen Stücks, das selbst die Hartherzigsten zum Erweichen bringt. Es verpasst dem experimentellen Sound der Briten eine gehörige Pop-Abrundung, die dem Song unglaublich gut bekommt. Etwas mehr als ein Jahr später erschien das Debütalbum der Zusammenarbeit der bis dahin nur als Solokünstler in Erscheinung getretenen beiden US-Amerikaner Benoît Pioulard und Rafael Anton Irisarri als Orcas. Und damit war das Problem markiert: Obwohl die gesamte Platte eine ähnlich schwermütige, getragene, schöne Atmosphäre verströmt, erreicht doch keines der anderen acht Stücke auch nur im Ansatz das Format von „Until Then“ und fiel auch gegenüber den bisherigen Soloveröffentlichungen deutlich ab. Es war gerade so, als hätten die beiden mit ihrer ersten Kollaboration bereits ihren Höhepunkt erreicht und dann auch gleich überschritten, als hätte der Anlass den entscheidenden Impuls gesetzt. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass sie einen bereits perfekten Song mit einer perfekten Bearbeitung kombiniert haben. Besser ging’s offensichtlich nicht.
„Yearling“ ist jetzt der zweite Versuch einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Und er ist der bessere. Das kann zum einen daran liegen, dass sich Orcas mit Martyn Heyne von Efterklang (Gitarre und Klavier) und Michael Lerner von Telekinesis (Schlagzeug) verstärkt haben. Der analoge Sound der Instrumente bekommt dem Gesamteindruck der Platte sehr gut. Es sind nicht mehr nur die Field Recordings und verlorenen Gitarrenklänge Pioulards, die zusammen mit den minimalistischen Elektronik-Einsprängseln Irisarris die dunklen, mehr gehaucht als gesungenen Texte Pioulards umspielen. Plötzlich sind die Songs ausgereift, greifbar, erinnerbar. Sie schweben nicht so haltlos umher wie auf dem Debüt. Zwar wabern auch hier einige Passagen oder einzelne Stücke sehr ambientig umher, aber sie machen doch einen geerdeteren Eindruck. Alles wirkt durchdachter, konstruierter. Da macht es auch nichts, dass man hier oder da mal denkt, dass ein Intro auch von Boards Of Canada stammen könnte, weil das Quartett anschließend noch die Kurve hin zu etwas Eigenem bekommen. Das kann zum anderen aber auch daran liegen, dass dem Songwriting diesmal wohl ein anderer Prozess zugrunde gelegen hat. Sei es durch die Abstimmung mit anderen Musikern, sei es durch eine andere Herangehensweise. Alles, aber wirklich alles wirkt wesentlich organischer, natürlicher in den Harmonien und Abstimmungen untereinander. Selbst wenn manche Stücke zuerst klingen, als hätte Pioulard sie für seine eigenen Veröffentlichungen geschrieben, merkt man doch nach kurzer Zeit die Abweichungen davon, merkt man, welchen Anteil die anderen Musiker daran hatten. Die Elemente der Soloplatten kommen nach wie vor auch auf „Yearling“ deutlich vor, sind aber eingebunden in ein großes Ganzes, was sie erst zu richtigen, schönen Songs macht.
„Until Then“ überstrahlt aber auch diese Orcas-Platte trotzdem.
Label: Morr Music | Kaufen