Die Nerven – „Fake“ (Album der Woche)

Die Nerven - „Fake“

Die Nerven – „Fake“ (Glitterhouse)

Am 23. März 2012 stellte die noch sehr junge Gruppe Die Nerven ihr bereits fünftes Album ins Netz. Es war eine im scheppernden Lo-Fi-Sound aufgenommene No-Wave-Platte, deren elf Songs damals schon mit einer solchen Dringlichkeit aus den Lautsprechern dröhnten, dass man fast Angst hatte, diese Band würde sich gleich aus den Boxen in Dein Zimmer kratzen und Dir ins Gesicht spucken. Der Name dieser Platte: „Asoziale Medien“.

Über sechs Jahre und drei Studioplatten später erscheint nun das technisch gesehen neunte Album des Stuttgarter Trios. Textlich gesehen hat sich gar nicht so viel verändert: Auf „Fake“ singt die Band, deren Facebook-URL auch nach mehrjähriger Feuilleton-Verehrung immer noch mit „deinemutteralter“ endet, gegen bekannte Feinde wie Lifestyle-Influencer („Niemals“), dubiose Mailorder-Unternehmen („Skandinavisches Design“) und allen voran natürlich die omnipräsenten sozialen Medien. Was sich am meisten verändert hat, ist der Sound: Auf diesem Album lassen sich sowohl umarmende Dur-Akkorde (!) als auch gezupfte Akustikgitarren (!!!) finden. Doch wer jetzt „Sell-Out“ schreit, der hat nicht zugehört. Auch auf „Fake“ kann diese Band Dir immer noch ins Gesicht spucken.

Bittersüße Algorithmen

Der Spagat zwischen Schönheit und Gewalt zieht sich wie ein roter Faden durch diese zwölf Songs. So versteckt sich unter dem new-wavigen Optimismus der Single „Niemals“ eine böse Anti-Selbstoptimierungs-Hymne mit dem Schlachtruf „Finde niemals zu Dir selbst“. Das eigentlich sehr verträumte „Roter Sand“ beginnt mit einer an den vernichtenden No-Wave der US-amerikanischen Band Swans erinnernden Bassline von Julian Knoth, unterstützt vom harten Zeitlupenbeat von Kevin Kuhn. Und Hauptsänger Max Rieger kann auf „Fake“ eine ungewohnte Vielseitigkeit demonstrieren: Mal zischt er bedrohlich, mal schreit er markerschütternd und mal überrascht er mit einem Vibrato, aus dem man auch Swans-Frontmann Michael Gira heraushören könnte.

Die wahre Glanzleistung von „Fake“ haben Die Nerven jedoch am Ende versteckt: Begleitet von einer Orgel, Xylophon und der bereits erwähnten Akustikgitarre verwandeln sie im Titeltrack zynische Zeilen „Ich habe Algorithmen, die alles erklären / Multiplikatoren, die alles vermehren“ in ein melancholisches, fast schon versöhnliches Mantra. Ein bittersüßes Ende für ein großartiges Album.

Veröffentlichung: 20. April 2018
Label: Glitterhouse

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