Discovery Zone – „Quantum Web“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 11. März 2024

Cover des Albums „Quantum Web“ von Discovery Zone, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Discovery Zone – „Quantum Web“ (Rvng Intl. / Mansions & Millions)

Wir drücken die Play-Taste. Warme Synth-Wolken umschließen uns sanft und wiegen uns in der Illusion, die Zeit sei stehengeblieben. Das Intro des neuen Albums von Discovery Zone beschwört in etwa die Atmosphäre einer Filmszene, in der die Hauptfigur unvermittelt eine Sphäre der Ewigkeit betritt. Schließlich hören wir entkörperte Stimmen, vielleicht menschlich, vielleicht computergeneriert. Sie haben nur ein einziges Wort für uns übrig: „Supernatural“. Doch aus ihnen spricht keine Empathie. Genaugenommen fehlt ihnen jedwede Persönlichkeit. Vielmehr scheinen sie lediglich eine Funktion auszuführen: uns zu vermitteln, dass wir uns an einem übernatürlichen Ort befinden. Ein bisschen wirkt das, als hätte eine KI den Auftrag bekommen, eine höhere Sphäre abzubilden. Wie so oft erfüllt die Maschine ihre Aufgabe korrekt, aber nicht täuschend echt. So weit ist die Technologie noch nicht, aber bald. Wenn das Quanten-Internet kommt und und alles besser macht, Online-Spionen das Handwerk legt und für uns arbeiten geht. Oder so.

Natürlich glaubt JJ Weihl alias Discovery Zone nicht naiv an heilbringende Maschinen. Doch Technologie und ihre Bedeutung in unserem Leben faszinieren die in Berlin wohnhafte Musikerin und Sängerin aus New York. Wir heißen die Maschinen mit offenen Armen in unseren Alltag willkommen, sie stiften Identität und nehmen Symbolcharakter an. Eines dieser Symbole gab vor vier Jahren Weihls Debütalbum seinen Namen: „Remote Control“. Selbstredend war die Fernbedienung im Jahr 2020 gegenüber Touchscreens und Sprachsteuerung ein klobiges Relikt. Doch gerade deshalb bebilderte sie die LP so gut. Denn auf ihr bereiste Discovery Zone eine Zeit, in der Fernbedienungen uns von den Möglichkeiten der Zukunft erzählten. Nun nimmt sie uns mit in die nahe Zukunft. Wobei „Zukunft“ hier eher ein unschuldiges Gefühl bezeichnet als einen Ort auf dem Zeitstrahl. Zeit ist schließlich, wenn man schlauen Menschen glaubt, eine Illusion oder ein flacher Kreis. Jedenfalls nicht linear.

Vom Werkzeug zur Verwertung

Wie sehr die Maschine schon jetzt in unseren Alltag integriert ist, illustrierte Weihl im Jahr 2021 mit ihrer multimedialen Inszenierung „Cybernetica“. Hierfür hatte sie ein Unternehmen mit der Sammlung ihrer Daten beauftragt. Als sie die Ergebnisse bekam, fand sie sich in der „tiefen Brutalität“ der Erkenntnis wieder, „eine Ansammlung vermarktbarer Datenpunkte [zu sein]. Ich setzte die Teile wieder zusammen, um meine Selbstbestimmung zurückzuerlangen und eine Art Katharsis zu finden.“ In diesem Prozess entstanden auch Teile des neuen Albums. Dazu gehört beispielsweise „Mall Of Luv“, das bewusst an Fahrstuhlmusik für Einkaufszentren erinnern soll. Zuweilen klingt das angenehm nach Vaporwave-Aufbereitungen gefälliger japanischer City-Pop-Tunes. Damit verneigt sich Weihl einerseits vor ihren eigenen romantisch verklärten Shopping-Mall-Erinnerungen. Doch andererseits legt der Song offen, wie sehr zwischenmenschliche Sehnsucht durch Dating-Apps weniger gestillt als verwertet wird.

Doch bis wir im Liebeseinkaufszentrum angekommen sind, haben wir schon einen langen Weg durch die virtuelle Welt zurückgelegt, die Weihl auf dem Fundament ihrer gesammelten privaten Daten errichtet hat. Zunächst entsteigen wir dem ortlosen übernatürlichen Raum des Intros und betreten einen scheinbaren Garten Eden. Aber wenn wir den Songtitel lesen, steht da nicht „Paradise“, sondern „Pair A Dice“ – ein Würfelpaar. Was uns als Erfüllung erscheint, kann sich als bloße Zahlenkombination entpuppen, in einem Spiel, das wir unwissentlich und unvermeidlich mitspielen. Wenn wir etwa mit unseren Cookies und anderen virtuellen Fußabdrücken einen sehr manifesten Kapitalismus füttern. Doch wenngleich wir uns dem Markt nicht entziehen können, müssen wir beim Spiel nicht unbedarft und entmachtet mitmachen. Und so tritt Discovery Zone in dem Song dem bösen Spiel mit entschlossener Miene und von einem freundlichen 80s-Synth-Boogie-Beat befeuert entgegen.

Trügerische Menschlichkeit

Nachgerade warm, beschaulich und trügerisch menschlich wirken die sehnsuchtsvollen Lyrics des dritten Tracks, „Ur Eyes“. Doch zugleich erscheint die Stimme, mit der Weihl über Augen singt, die heller als die Sonne strahlen, kaum mehr als Widerhall menschlicher Emotionen. Vielmehr wirkt es, als hätte jemand auf Grundlage von Daten über unsere persönlichen Wünsche eine möglichst ansprechende poetische Umsetzung generiert. Letztlich funktioniert Pop immer genau so. Doch wir müssen dem Produkt glauben, uns auf es einlassen. Wenn nun Weihl uns aber die entfremdete Warenförmigkeit unseres Verlangens vor Augen führt, wird es unheimlich.

Zu Riege der popsongförmigen Stücke des Albums gehören die melancholisch pluckernde, ungewöhnlich analog klingende Low-Key-Nummer „All Dressed Up With Nowhere To Go“ und der krautige Psych-Track „Test“. Zwischen diesen Highlights findet sich viel Raum und Atmosphäre. Raum zum Atmen, den wir zwischen all dem luftig klingenden, doch in Wirklichkeit schweren Stoff nicht nur als dramaturgischen Kitt brauchen.

Veröffentlichung: 8. März 2024
Label: Rvng Intl. / Mansions & Millions

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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