Alex Cameron – „Forced Witness“ (Rezension)

Von Sebastian Lessel, 7. September 2017

Cover von Alex Cameron – „Forced Witness“ (Secretly Canadian)Alex Cameron – „Forced Witness“ (Secretly Canadian)

7,7

Die selbsternannten „online-cowboys in the wild-west days of the world wide web“, Alex Cameron und sein Freund und Business-Partner Roy Molloy, sind zurück. Und sie haben auf ihren Streifzügen viel gesehen. Ist ja auch unvermeidlich heutzutage. Ihre digitalen Satteltaschen prall gefüllt mit Liedern über die Liebe in Zeiten der Tinderella und Stories über eher unsympathische Loser mit allerlei Macken, reiten sie auf „Forced Witness“ dem Instagram-gefilterten Sonnenuntergang entgegen.

Ungefilterter – oder eher – ungeschminkter geht es auf dem Nachfolger von „Jumping The Shark“ (2016) zu. War Alex Cameron auf seinem Debütalbum noch als in die Jahre gekommener Hotel-Lobby-Entertainer unterwegs, hat er nun die künstlichen Falten seiner Bühnen-Persona runtergeschält. Demaskiert wirkt der Australier aber lange nicht, eher eingemauert in Ironie, ein Musiker mit Vorliebe für extravagante Bühnenoutfits, einem kuriosen Hüftschwung und Ansagen, die meist länger als die Songs sind.

Gescheiterte, kaputte Persönlichkeiten sind auch auf Camerons zweiten Album textliche Inspiration. Verglichen mit dem Debütalbum werden die Herrschaften aber deutlich weniger romantisiert. Die Erzähler auf „Forced Witness“ scheinen einem Gruselkabinett bestehend aus abgehalfterten, mittelalten, weißen Männer zu entstammen. Alle kämpfen irgendwie mit ihrer schwindenden Männlichkeit in Zeiten der Informationsgesellschaft und geben dabei keine gute Figur ab.

Zu straightem 80ies-Rock à la Tom Petty, romantisch aufstrebende Saxofonlinien seines Mitstreiters Roy Molloy und Vintage-Synths singt Cameron auf „Running Outta Luck“: „I got blood on my knuckles, cause there’s money in the trunk.“ Damit versetzt er sich hier in den mythisch-überhöhten US-Bad-Boy.

Leider macht das Alter auch vor einem Bad-Boy nicht halt und daher kämpft Cameron neben dem körperlichen Verfall, Einsamkeit und Pollution („Country Fig“) auch gegen die erotischen Verheißungen im World Wide Web. In „True Lies“, einer wunderbar schmalzigen Mid-Tempo-Ballade befindet sich der Erzähler in amourösen Verwicklungen zwischen seiner Real-Life-Geliebten und einer Frau aus dem Internet. Bei der ist es ihm egal, ob sie sich letztendlich als „some beautiful nigerian guy“ entpuppt, da er tatsächlich Gefühle entwickelt.

Zu dieser fast schon charmant-naiven Perspektive bildet „Marlon Brando“ einen düsteren Gegenpol. Hier beleidigt ein gekränkter Liebhaber zu tropischen Synthie-Stakattos einen Nebenbuhler als „pussy“ oder „fagott“. Er fühlt sich wie „Marlon Brando circa 1999“ (an dieser Stelle sei eine kurze Bildrecherche ans Herz gelegt) und versucht sich mit diesem total deplaziert wirkenden Männlichkeitsvorbild zu profilieren.

Neben all der kaputten Männlichkeit hat „Forced Witness“ glücklicherweise großartige weibliche Featurings zu bieten. Auf dem Duett „Stranger’s Kiss“ hat Angel Olsen einen absolut filmreifen Auftritt als sarkastische Ex-Geliebte. Zum bitter-bösen Dialog zweier frisch Getrennter wurde von Girls-Darstellerin Jemima Kirke ein Musikvideo gedreht, bei dem sie und Cameron als Doppelgänger durch die Stadt irren. Die Stärke des prägnantesten Song des Albums ist das starke Zusammenspiel der dunklen Stimmen von Olson und Cameron. Deren Darbietung wird von melancholischen Gitarrenlinien, effektvoll platzierten Synths und euphorischen Saxofonspiel begleitet. Klingt nach dem Soundtrack einer überlebengroßen Liebesschnulze aus den 80ern? Fühlt sich auch so an.

Sicherlich gewinnt Cameron für diesen Sound keinen Innovationspreis, aber die Art und Weise wie er seine Message unter dem Deckmantel von gestenreich-kitschigem Synthpop transportiert, hat etwas für sich. Die Hinzunahme einer Band und die Kooperation mit Jonathan Rado (Foxygen) und Brandon Flowers (The Killers) entwickeln den Lo-Fi-Ansatz des Australiers weiter und führen letztendlich zu gut produzierten Songs: Als eine Mischung aus Charles Bukowski und Sythie-Springsteen besingt Alex Cameron auf „Forced Witness“ seine Liga der außergewöhnlich verwahrlosten Gentlemen. Dabei macht es großen Spaß, ihm bei der Dekonstruktion von Alphamännchen im Notstand zuzuhören, deren unterdrückte Schwächen Alex Cameron im Laufe des Albums Persona für Persona aufdeckt.

Veröffentlichung: 8. September 2017
Label: Secretly Canadian

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