Vor zwei Jahren hat Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen beim Buback-Labelabend im Düsseldorfer Zakk folgenden Satz von sich gegeben: “Düsseldorf. Die Stadt ohne Wettbewerb.“ Mit diesen Worten hat er dem Publikum ein schallendes Gelächter entlockt. Kein Wunder, denn geprägt von den ansässigen Werbeagenturen im Medienhafen und schicken Villenvierteln, genießt Düsseldorf den allgemeinen Ruf einer versnobten Stadt. Auf der anderen Seite bietet Düsseldorf aber auch eine neue, florierende Musikszene. Die siebte Ausgabe des Open Source Festivals, das am 30. Juni wieder auf der Galopprennbahn in Grafenberg stattfand, ist das Aushängeschild in Sachen Düsseldorfer Popkultur. Die Macher um den künstlerischen Leiter Philipp Maiburg bringen Künstler der Elektronik- und Independent-Musik auf drei Bühnen der Galopprennbahn im Grafenberger Wald und später in zwei Hallen im Stahlwerk in Flingern. Nur die Absage von Konono Nº1 trübt im ersten Moment die Vorfreude auf den Festivaltag.
Angekommen auf dem Open-Air-Gelände sollen die Elektropopper The Hundred In The Hands unseren Einstand auf der Mainstage geben. Eigentlich ein Duo, werden sie heute von einem Live-Drummer unterstützt. Die Formation aus Brooklyn schafft es, seine Mixtur aus New Wave und Post-Punk schön akzentuiert mit ordentlichem Druck zu transportieren. Eleanore Everdell steht an den Synthies und singt mit verhallter Stimme ihre Textparts ohne eine Miene zu verziehen. Ihr neues Album “Red Night“, das im Juni erschien, wird von den Zuschauern gebührend gefeiert. Eine passable Show und ein gut funktionierender Appetizer für einen großartigen Festivaltag.
Zeitgleich spielen auf der kleinen, für elektronische Musik reservierten Bühne Africa Hitech. Hinter dem Namen verbergen sich Mark Pritchard und Steven Spacek. Ausschließlich mit MacBooks und Turntables nehmen sie uns mit auf die Reise durch Elektro-Funk, Techno-Jazz, Ragga-Soul und Cyber-Dub. Ihre afrikanischen Percussions und flirrenden Free-Jazz-Samples durchströmen unsere Körper, bringen uns der Natur ein Stück näher. Ich muss gestehen, dass dieser Act im Club, am besten in einem alten Gewölbekeller, vielleicht besser aufgehoben wäre als auf dieser kleinen Open-Air-Bühne um 18 Uhr.
Während Africa Hitech ihre letzen Samples spielen, schlendern wir über das überschaubare Festivalgelände. Kurze Wege, ausreichend Toiletten, Essstände und ein sehr entspanntes und familiäres Flair erzeugen bei mir ein Wohlgefühl. Ich sehe viele junge Familien, deren Kinder aus dem Gröbsten raus sind, und sich mit ihresgleichen vergnügen. Für Eltern und natürlich Nichteltern bietet der Veranstalter eine kleine Auswahl von Ständen von lokalen Künstlern und Organisationen, wie z. B. dem Düsseldorfer Filmfest oder dem Designer “el rizo“ alias Philipp Komossa. Düsseldorf hat einen starken Kunst- und Museumssektor – auch bedingt durch die bundesweit bekannte Kunstakademie –, der natürlich bei solch einem Event Unterstützung findet.
So gegen 19 Uhr geben sich Breton auf der Mainstage die Ehre. Für mich die Festivalüberraschung des Tages. Sie begeistern gleichermaßen die Freunde von elektronischer Musik sowie Liebhaber handgemachter Gitarrenmusik. Die Fünf aus Südost-London grooven, was das Zeug hält. Ihr Hybridsound aus technoiden Synthiepassagen in Verbindung mit “echten“ Instrumenten zieht viele Festivalgänger in seinen Bann. Ich beobachte, wie die Menschenmenge mit jedem gespielten Song zunimmt. Ein brillanter Sound zeichnet diese Band am heutigen Abend aus und führt bei mir zum völligen Verlust des Zeitgefühls. Fast hätte ich Mouse On Mars auf der anderen Bühne verpasst.
Also schnell hinüber zur Carhartt-Stage, auf der die Rheinland-Frickler bereits ihr Set in vollem Umfang den Zuschauern um die Ohren knallen. Wie Breton zuvor, wird auch das in Düsseldorf gegründete Duo (heute ein Trio) für seinen Auftritt enthusiastisch gefeiert. Nach sechs Jahren Pause stellt die Band ihr neues Album “Parastrophics“ vor. Ein fettes Elektro-Stadion-Brett – wenn ich mir das erlauben darf –, was Andi Thoma und Jan St. Werner hier zusammenzimmern. Extrem auffallend ist der Livedrummer Dodo NKishi, den Mouse On Mars im Gepäck haben. Faszinierend dieser Mann, über den ich gelesen habe, dass er sein Schlagzeugspiel den variierenden Elektroparts seiner beiden Masterminds quasi on-the-fly anpasst. Sensationell!
20.30 Uhr, Zeit für den Headliner: Beirut. Der Frontmann Zach Condon, der gewöhnlich mit elf Mitspielern auftritt, hat diesmal nur fünf Leute mitgebracht. Die Band ist aber auch in der Sparbesetzung kraftvoll genug, um mühelos den Bogen von US-Indierock zu Balkan-Polka und französischem Chanson zu schlagen. Die Band spielt in anderthalb Stunden Stücke aus allen ihrer drei Alben. Beirut eröffnen das Konzert mit “Santa Fe“ von ihrer aktuellen Platte “The Rip Tide“ und zaubern damit ein Lächeln auf die Gesichter ihrer Fans. Geküsst von der güldenen, untergehenden Sonne nehmen sich viele Zuhörer in die Arme und schunkeln abwechselnd auf dem linken und rechten Bein zu Höhepunkten wie etwa “Prenzlauerberg“ und “Postcards From Italy“, die Condon an der Ukulele begleitet. Ein großartiges Konzert voll herrlicher Leichtigkeit, trotz der teils schweren und melancholischen Stimme Zach Condons. Nach dem Konzert finden wir einen handgeschriebenen (!) Zettel mit Songtexten von Beirut. Romantische alte Schule, wunderschön.
Um 22 Uhr ist Schluss auf der Galopprennbahn. Mit dem (“Party“-)Shuttlebus geht es ins südlich gelegene Stahlwerk nach Flingern. Dort erwartet uns neben der Mehrzweckhalle ein groß angelegter Beachbereich, mit Liegestühlen und angezündeten Fackeln. Wer Lust hat, kann seine Füße im Pool von den Strapazen des Open-Air-Tages erholen. Eine perfekte Chillout-Area, bevor der Lokalmatador Stabil Elite als vorletzte Band gegen 00.30 Uhr die Bühne betritt. Mit ihrem Album “Douze Pouze“ erstmals auf heimischer Bühne, besingen die Jungs mit Textzeilen wie “Metall auf Beton“ und “Stahlträger stützen das Grauen“ das Elend der Gegenwart. Kein Ort hätte besser gepasst, als das von Kälte durchzogene Mauerwerk des Düsseldorfer Stahlwerks. Voller Selbstbewusstsein tanzt Lucas Croon an seinem Sequencer, als möchte er sich lösen von seinem Instrument und ausbrechen, aber er ist gefangen in einem krautigen Korsett, das ihn an seine Regler bindet. Hypnotisierend!
Den Abend schließen WhoMadeWho, die bis 3 Uhr das Stahlwerk zum Erschüttern bringen. Der satte Sound, dessen Bässe und getriggerte Drums voll in die Magengegend wummern, verwandelt die gut gefüllte Halle des Stahlwerks in einen Brutkessel. Mir persönlich war es etwas zu laut, viele Nuancen, die Sänger und Gitarrist Jeppe Kjellberg hervorbringt, gehen leider durch die geballte Soundwand verloren. Das Publikum findet dennoch Gefallen und wer nicht genug hat, der kann im Club noch zu verschiedensten DJs bis zum Morgengrauen feiern. Für mich und meine Fotografin Anja ist der Abend zu Ende. “Dazzledorf ist gar nicht so schlecht“, sagt sie zu mir. Recht hat sie.
Diskussionen
1 KommentarStuttgart-Ostfildern
Jul 6, 2012Klasse geschrieben, beim lesen hatte ich den Eindruck ich wäre dabei gewesen.
Weiter so !
PS: Werden von den Konzerten Videos / Soundclips aufgenommen und eingestellt ?