Ibeyi – „Ash“ (Rezension)

Von Marius Magaard, 5. Oktober 2017

Cover des Albums Ibeyi – „Ash“ (XL Recordings)

8,0

„Der Maßstab einer jeden Gesellschaft ist, wie sie ihre Frauen und Mädchen behandelt.“ Diese Worte stammen aus einer wütenden Rede von Michelle Obama, kurz nachdem der damalige Präsidentschaftskandidat Donald Trump in einer geleakten Audioaufnahme seinem Kollegen Billy Bush sein ganz persönliches Frauenbild verdeutlicht hatte. Genau diese Rede der ehemaligen First Lady bildet als Sample das Herzstück des neuen Ibeyi-Albums „Ash“: Das kubanisch-französische Zwillingspaar Lisa-Kaindé und Naomi Díaz hat mit ihrem zweiten Langspieler eine aufwühlende Collage aus den alltäglichen Ängsten der Post-Trump-Gesellschaft erschaffen.

Der Wandel des politischen Klimas scheint sich auch auf den Sound von Ibeyi auszuwirken: Die leichtfüßig jazzigen Klangfarben ihres selbstbetitelten Debüts sind einem kälteren, deutlich elektronischerem Sound gewichen. Die Díaz-Geschwister kitzeln dabei aus ihrem Electro-R&B eine Menge an Experimentierfreudigkeit und Ambition heraus: In den stärksten Momenten von „Ash“ werden Wörter zu Kaskaden und 808-Beats zu Trauer-Märschen. Im eröffnenden Gospel-Mantra „I Carried This For Years“ wird der titelgebende Satz immer und immer wieder wiederholt – und jedes Mal, wenn die Wörter über einen herüber spülen, gewinnen sie an Kraft.

Die unter die Haut gehende Single „Deathless“ ist ein meisterhaftes Stück Düster-R&B: Bedrohliche Synthesizer und stampfende Drum-Computer bilden das Gerüst für Lisa-Kaindé Díazs schmerzvolle Lebensgeschichten vom alltäglichen Rassismus – „He said, he said / You’re not clean / You might deal / All the same with that skin.“ Dazu spielt das Saxophon von Kamasi Washington einen getragenen Kontrapunkt mit der sakralen Energie einer Jazz-Funeral in New Orleans. Auch die anderen Gäste fügen sich gut in Ibeyis Klangkosmos ein: In der Ballade „When Will I Learn“ unterstützt Chilly Gonzales mit impressionistischen Klavier-Tupfern die Auto-Tune-Melancholie des Gesangs, während die spanische Rapperin Mala Rodriguez dem Reggaeton-HipHop „Me Voy“ eine ordentliche Portion Druck beisteuert.

Bei all der auf „Ash“ versammelten Verzweiflung, schaffen die Geschwister Dìaz es trotzdem, nicht zu zynischen Nihilistinnen zu werden: Anstatt sich in der Angst zu suhlen, finden sie Hoffnung im Widerstand. Nirgendwo wird das klarer als im bereits erwähnten Herzstück „No Man Is Big Enough For My Arms“: Hier unterstützen sie Michelle Obamas Aufruf zur Vernunft mit ihren eigenen, aufmunternden Worten: „We can fight / We won‘t stand still / We won‘t be shamed“. Ein starkes Statement, inmitten eines starken Albums.

Veröffentlichung: 29. September 2017
Label: XL Recordings

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