Apparat (Mute)
Die Wagenhallen am alten Bahngelände „Innerer Nordbahnhof“ gehören zweifellos zu den schönsten und kreativsten Plätzen Stuttgarts. In den Backsteinhallen, in denen früher Waggons der Bahn standen, sind heute Künstlerateliers und Veranstaltungsräume beheimatet. Vor den Hallen befindet sich ein gemütlicher Biergarten auf Sand und immer gibt es interessante Dinge zu sehen – seien es metergroße Pappmaschee-Monsterköpfe, in Aluminiumfolie eingewickelte Bäume oder abstrakte Metallskulpturen. In Verbindung mit dem industriellen Charme der Hallen eine einzigartige Atmosphäre, die es mindestens noch bis 2015 in dieser Art geben wird. Dann könnte es eng werden für die Wagenhallen, denn sie liegen auf dem Teilgebiet C1 – Stuttgart-21-Gelände.
Ein paar Meter neben den Wagenhallen wird jedenfalls schon fleißig gebaut, dort entsteht der Neubau eines beruflichen Schulzentrums. Auch am Donnerstagabend, als Apparat dort spielen soll, lärmt die Baustelle. Es wird gehämmert, gebohrt und „Vorsicht“ geschrien, bevor Dinge aus großer Höhe fallen gelassen werden. Gebohrt, das wurde dann auch während eines Songs der Vorband von Apparat namens Warren Suicide. Allerdings kam das Bohren nicht von draußen, sondern von der Bühne. Die Band sagte, sie hätte früher chaotischen Electro-Punk gemacht, bis sie einen Auftritt von José Gonzáles und der Göteborg String Theory gesehen hätten. Jetzt machen sie punklosen, aber immer noch etwas chaotischen Bisschen-Electro-Kammerpop, inklusive Streicher, Bohrmaschine und Megaphon. Das kann man ähnlich gut finden wie die Aussage von Frontmann Patrick „Nackt“ Christensen, er sei froh, dass Stuttgart nicht im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, was wohl der Fall gewesen wäre, hätte der Krieg noch ein paar Tage länger gedauert.
Ein Wiedersehen mit Christensen gab es dann auch, als Sascha Ring alias Apparat schließlich die Bühne betrat. Christensen ist nicht nur Frontmann von Warren Suicide, sondern auch Produzent von Rings aktuellem Album „The Devil’s Walk“ und Gitarrist der Apparat Band. Und auch zwei weitere Mitglieder von Warren Suicide (Geige, Cello) standen später wieder auf der Bühne, um die doch sehr orchestralen Songs von „The Devil’s Walk“ originalgetreu umzusetzen.
Neben den Instrumenten, Mikrophonen und 3/4 von Warren Suicide standen auf der Bühne auch noch mehrere unterschiedlich hohe Stäbe mit Glühwendeln an ihrem Ende, die abwechselnd zur Musik leuchteten. Ein schlichter und schöner Effekt, der am besten wirkte, wenn das Glühen schnell hin- und herwanderte. Waren die Stäbe permanent erleuchtet, erinnerte das Bild sehr an Kerzenständer und zusammen mit dem Rauch ein wenig an die Szene aus dem Video zu Meatloafs „I’d Do Anything For Love“, als er alleine im verlassenen Schloss vor dem Kamin sitzt.
Gespielt wurden von der Apparat Band hauptsächlich Songs von „The Devil’s Walk“, was im Publikum allerdings kaum jemanden störte – mit Sicherheit Apparats schönstes und bekanntestes Album. Zu schön vielleicht, für meinen Geschmack. Bei den allzu epischen Songs läuft Ring manchmal Gefahr, in der eigenen Schönheit zu ertrinken. Dann wird es fast schon etwas kitschig und erinnert bisweilen an Coldplay. Nicht, dass das etwas Schlechtes sein muss, aber live ist Ring am stärksten, wenn seine Songs kantig sind, wenn es wummert, klickt, fiept und knarrt. Auch wenn es sicher seine Vorteile hat, bei Konzerten sowohl tanzen als sich auch verträumt hin und her wiegen zu können. Das Stuttgarter Publikum war jedenfalls mit beidem hochzufrieden, genau wie Ring mit dem Publikum. Es sei sein erstes Konzert in Stuttgart und da wisse man nie genau, was einen erwarte. Das „Brighton-Phänomen“ würden sie das in der Band nennen. Dort gab es ein Konzert, bei dem 170 Engländer vor der Bühne gestanden wären, sich permanent unterhalten und eher wenig bis gar nicht um den Auftritt gekümmert hätten. Nicht so die 500 Stuttgarter, die tanzen und eine gute Zeit haben würden. Die Anwesenden: begeistert darüber, dass die Band von ihnen begeistert ist. Erst Warren Suicide, dann Apparat – sie wollten an diesem Abend anscheinend kein Ende nehmen, die Lobe für Stuttgart. Und wenn man sich nach dem Konzert im Publikum so umhörte, dann beruht diese Wertschätzung auf Gegenseitigkeit.