Neue Platten: Godspeed You! Black Emperor – "Allelujah! Don't Bend! Ascend!"

Von Klaus von Frieling, 22. Oktober 2012

ConstellationConstellation

9,1

Kündigt eine Band eine Tour an, gibt’s auch eine Platte, die dementsprechend vermarktet werden muss. Die reflexhafte Frage danach, auf die man nach jahrelangem Musikkonsum durch die Industrie konditioniert wurde, bleibt im Fall des kanadischen Kollektivs Godspeed You! Black Emperor regelmäßig aus. Auch die Bekanntgabe einer ausgedehnten Konzertreise nach Nordamerika und Europa in diesem Herbst löste einen solchen Impuls nicht aus. Das hat einem die Band in den 18 Jahren ihrer Existenz schon beigebracht: Sie spielen nicht nach den Regeln des Business. Und dann das: Pünktlich zum Tourbeginn in Boston liegt „Allelujah! Don’t Bend! Ascend!“ auf dem Merchandise-Tisch. Auf Vinyl. Ohne Ankündigung, ohne vorherige Gerüchte. Einfach so. Das muss man bei dem Bekanntheitsgrad der Band erst einmal schaffen.

Und wie herrlich dieses Album ist. Endlich wieder Ausrufezeichen-Titel, endlich wieder kryptische Parolen, endlich wieder endlos langes Instrumentalgedröhne. Als hätte es die zehn Jahre seit „Yanqui U.X.O.“ nicht gegeben, beginnt die Platte gleich mit einem 20-Minuten-Stück und genügend Diskussionsstoff: Bezieht sich der Titel „Mladic“ auf den serbischen Ex-General Ratko Mladic, dem vorm UN-Tribunal in Den Haag zahlreiche Kriegsverbrechen vorgeworfen werden? Sucht man in der Musik nach einer Antwort, wird man mal hierhin, mal dorthin geschleudert. Wie beim Tennis, spielen sich die losen, verzerrten Gitarrentöne im ersten Viertel die Bälle zu, bis das Ganze minimal-perkussiv aufbricht zu lauten, ausufernden, stampfenden psychedelischen Drones mit imposanten Feedbacks à la Jesus And Mary Chain. Es ist eines der dunkelsten und schwersten Stücke, das Godspeed You! Black Emperor in ihrem Repertoire haben, und das schon seit 2003.

Das nur einige Sekunden längere „We Drift Like Worried Fire“ auf der anderen Seite der Platte zeigt, welche Fragilität der Musik des kanadischen Kollektivs bei aller Lautstärke innewohnt. Sie bestand immer aus mehr als aus einfachen, rockaffinen Gitarrenriffs und druckvollem Schlagzeug. Die auf dieser Platte sich aus neun Personen zusammensetzende Band versteht es ebenso, auch Instrumenten wie einer Geige, einer Marimba, einem Vibrafon und einem Glockenspiel Raum zu geben, sie nicht nur akzentuiert in Szene zu setzen, sondern in das Ganze zu integrieren. Bis dann alles in der Mitte des Stückes grandios in sich zusammenfällt und sich auf eine andere Art erst wieder finden, sich annähern muss, um sich zu neuen Höhen aufzuschwingen. Dieses Hin und Her zwischen laut und leise, zwischen zart und hart, zwischen Stakkato und Epik beherrscht niemand so imponierend wie Godspeed You! Black Emperor.

Die beiden nur jeweils sechseinhalbminütigen Stücke „Their Helicopters‘ Sing“ und „Strung Like Lights At Thee Printemps Erable“ sind da von gänzlich anderer Natur. Nicht minder laut, aber ohne Schlagzeug sind sie eher vielstimmige minimalistische Entwürfe, die bei der Vinyl-Version auch gleich auf einer 7″ ausgegliedert wurden und sicherlich deutlich seltener auf dem Plattenteller landen werden. Irgendwie wartet man beim Hören geradezu auf den Bumms, mit dem die Drums einsetzen und dem ganzen Rauschen eine konkrete Struktur geben. Doch in ihrer Funktion als quasi vermittelnde Instanzen zwischen den gewaltigen Ex- und Implosionen der 20-Minüter sind sie nicht zu unterschätzen, bereiten sie doch das Beet, auf dem diese dann erst ihre volle Wirkung entfalten können. Und die ist trotz oder wegen ihrer Rauheit von geradezu wunderbarer Erhabenheit.

Label: Constellation | Kaufen

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