Neue Platten: Umherschweifende Produzenten – „Elektronische Musik“

Cover des Albums Elektronische Musik von Umherschweifende ProduzentenUmherschweifende Produzenten – „Elektronische Musik“ (From Lo-Fi to Disco!)

7,2

Wir schreiben das Jahr 2014. Ein Gespenst geht um auf der Welt, das Gespenst der Außerirdischen. Eine Gruppe dieser Außerirdischen – genauer gesagt der sexualdemokratische Flügel der Außerplanetarischen Opposition – tritt an mit einem dezidierten „Masterplan“ (so auch der Titel des Eröffnungstracks auf „Elektronische Musik“), der es vorsieht, den Kapitalismus zu überwinden und eine klassenlose Gesellschaft jenseits dieses Systems, kurz: den sogenannten Future-Kommunismus anzustreben. So sollen ihre Ideen und poppolitischen Ziele auf der Erde verbreitet und deren Bewohner – auch bekannt als Menschen – inspiriert werden. Demzufolge erfuhren im Laufe der Jahrtausende alle wichtigen Vertreter – sei es aus Philosophie, Kunst, Film oder eben Musik – Inspiration von diesem so mysteriösen Kollektiv. Gegenwärtig hat jene Außerplanetarische Opposition zwei Auserwählte zu uns gesandt, die wir vormals als King Fehler alias Knarf Rellöm (Huah!, Knarf Rellöm Trinity, Die Zukunft et al.) und Manuel Scuzzo (Misses Next Match) kannten, und hat jene mit einem Konzeptalbum beauftragt. Demzufolge präsentiert uns dieses extraterrestrische Duo ein Album auf diversen vermittelnden Elementen, deren Cover ihre Entstehungsgeschichte erzählen. Bereits im letzten Jahr gegründet, benennen sich die Umherschweifenden Produzenten nach dem gleichnamigen Werk des italienischen Marxisten Antonio Negri und werden beauftragt, „repetitive Musik und repetitive Texte, Texte ohne Meinung und Gefühl“ zu erschaffen. Die beiden sehen sich klar in der Tradition Sun Ras und manifestieren dessen afro-futuristische Philosophie des „Space Is The Place“ hier als Credo: Wenn dieser Planet, das Diesseits nur noch von Dummheit regiert wird, hilft lediglich noch die Flucht ins All. Ein transzendentales Heilsversprechen, das die futuristische Sehnsucht als elementaren Bestandteil der Popgeschichte heraufbeschwört.

Kürzlich zu Gast im ByteFM-Interview mit der Frankfurter Radiogröße – dem ehemaligen (Weltraum-)Taxifahrer – Klaus Walter wurde eine entschlossene Zäsur manifestiert: „Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei. […] Niemand kann mehr behaupten, er hätte von nichts gewusst. […] Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, nie wieder Authentizität im gesamten Universum!“, so ein Abgeordneter der Außerplanetarischen Opposition. Hier wird authentischem Blues- und Country-Rock in vielerlei Hinsicht eine klare Absage erteilt. Das maschinelle Geplucker des Sequenzers läuft entgegengesetzt zum menschlichen Bedürfnis einer musikalischen Seele. Zudem verfremden die übermenschlich anmutenden Vocoder- bzw. Kaospad-Einsätze die Stimmen derart, sodass Walters These untermauert wird, der kluge Einsatz dessen könne Geschlechtergrenzen überwinden bzw. die dichotome Geschlechtereinteilung unterlaufen.

In „Migration“ wird die realpolitische Situation der Armutsflucht und Verteilung von Informationen dahingehend aufgegriffen, dass auf andere Planeten migriert wird und die Prophezeiung des Schicksals von einigen Wenigen eines Tages alle haben werden. Ein Modell, dass uns aus Sci-Fi-Romanen bereits bekannt sein dürfte, wird hier modifiziert: Das Privileg auf andere Planeten auszuwandern wird nicht länger ausschließlich Eliten vorbehalten, sondern ganzheitlich verfügbar sein, sodass die Menschheit einen Konsens finden muss, gemeinsam zu emigrieren.

„Alternative Energie“ setzt dort an, wo Kraftwerk mit „Radio-Aktivität“ aufhörten und denkt dies thematisch weiter. Doch auch musikalisch gibt es eine Fortschreibung dessen: visionärer Synth-Pop im Sinne der vier Düsseldorfer Mensch-Maschinen, der den kosmischen Dada-Pop Felix Kubins auf der einen und den LSD-getränkten Wahnsinn Walter Wegmüllers auf der anderen Seite des Orbits tangiert. Im Titeltrack wird das Medium zur Massage und schließlich liefern die Produzierenden gleichermaßen Problem sowie Lösung, sodass sich ein Leitsatz im Geiste Devos aufdrängt: Are We Men? We Are Umherschweifende Produzenten!

Kam Fred 1981 in Andreas Doraus Klassiker noch vom Jupiter, so zirkuliert er einige Lichtjahre später in einer mindestens genauso fernen Galaxie. Was allesamt gemein haben: Sie wurden inspiriert von der Außerplanetarischen Opposition.

Der in der Vorgeschichte erwähnte Auftrag, „einfach nur Beschreibungen der Situation“ anzufertigen, ist auf einen weiteren Inspirierten zurückzuführen, nämlich auf Rainer Werner Fassbinder und dessen Einsicht: „Wenn du die Dinge nicht verändern kannst, musst du sie beschreiben.“ Auch wenn dieses Vorhaben einer Dokumentation des Zustandes der modernen Welt mit der Abwesenheit von Individualität und persönlichen Befindlichkeiten als schier unmögliches Unterfangen erscheint, so verhilft der Ansatz der Mensch-Maschine hier zu einem utopischen Seinszustand.

Tune In – Turn On – Drop Out.

Label: From Lo-Fi to Disco!
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