Working-Class-Fieberträume: Alan Vega in fünf Songs

Alan Vega wäre 80 geworden

Kompromisslos bis in den Tod: Alan Vega wäre heute 80 geworden

Das, was Alan Vega und Martin Rev in den 70er-Jahren aus ihren Maschinen und Stimmbändern lockten, war ihrer Zeit um einiges voraus: Weder die Popper noch die Punks konnten dem höllischen Rock‘n‘Roll-Entwurf ihrer Band Suicide etwas abgewinnen, ihre Konzerte endeten nicht selten im Bierflaschenhagel. 1978 warf ein besonders wütender Konzertgänger sogar eine Axt in Vegas Richtung – und verfehlte ihn nur knapp. Die Pop-Musik brauchte einige Jahre, um diese beiden Künstler einzuholen. Mittlerweile bezieht sich jede zweite Punkband auf Suicide und Vegas Soloplatten, während Bruce Springsteen ihre Songs in ausverkauften Stadien covert.

In der Nacht auf den 16. Juli 2016 starb der in New York als Alan Bermovitz geborene Vega im Schlaf. Am 23. Juni 2018 wäre er 80 Jahre alt geworden. Alleine über seine Zeit in der radikalen Künstler-Kommune Art Workers Coalition in den 60er-Jahren könnte man ganze Bücher schreiben, geschweige denn über seine elf Soloalben und fünf Suicide-Platten. Wir haben stattdessen fünf Songs gesammelt, die die verschiedenen Facetten des Künstlers Alan Vega porträtieren.

„Ghost Rider“ (1977)

Die pure Essenz von all dem, was Vega und Rev in ihrer Karriere leisteten, findet sich im ersten Song von ihrem ersten Album. Wer 1977 ihr selbstbetiteltes Debüt auflegte, dem schallte der motorisiert hämmernde Rockabilly-Bastardsong „Ghost Rider“ entgegen. Revs minimalistische Keyboards und Drumloops klingen gleichzeitig extrem billig und in ihrer unausweichbaren Dringlichkeit komplett überwältigend. Mit seiner Stimme treibt Vega das Vibrato von Elivs Presley oder Roy Orbison auf die Spitze und verwandelt dabei Rock‘n‘Roll-Klischees in große Paranoia. Ein Sound, der einem auf unheimliche Art und Weise vertraut vorkommt – und doch wie nichts auf dieser Welt klingt.

„Frankie Teardrop“ (1977)

Wer über Alan Vega und Suicide schreibt, der muss auch über „Frankie Teardrop“ schreiben. Es ist das zehnminütige, pechschwarze Herzstück ihres Debütalbums, ein Song über den titelgebenden Frankie, der von seinem abstumpfenden Fabrik-Job in den Wahnsinn getrieben wird und sich selbst und seine Familie ermordet. Revs hinterlistiges, repetitives Instrumental ist der perfekte Soundtrack zu diesem Working-Class-Fiebertraum, doch der Star ist Vegas an Performance-Art grenzender Gesang. Schreie, die nicht nur ins Mark sondern direkt in den Hirnstamm schießen. Auch über 40 Jahre später ist es möglicherweise noch immer das intensivste Stück Pop-Musik, das je geschrieben wurde.

„Dream Baby Dream“ (1979)

Doch Suicide konnten nicht nur die tiefste Hölle hörbar machen, sondern auch den Himmel auf Erden. Schon auf „Suicide“ offenbarten Vega und Rev mit wunderschönen Songs wie „Cheree“ und „Che“ ihre zarte Seite. Perfektionieren sollten sie diese aber mit „Dream Baby Dream“. In dem Song, der erstmals 1979 als alleinstehende Single veröffentlicht wurde, nehmen sie die musikalische Suicide-Blaupause aus billigen Drumloops und Synthesizern – und dekorieren sie mit lieblichen Glockenspielen und einigen von Vegas schönsten Textzeilen überhaupt: „Keep them dreams burnin‘ baby / Keep them dreams burnin‘ forever.“

„Kid Congo“ (1983)

Parallel zu seiner Arbeit bei Suicide begann Vega 1980 eine Karriere als Solokünstler. Im Vergleich zu seiner Hauptband hört man ihn hier in Begleitung einer vollständigen Band. Auf diesen Platten kehrte er seine musikalischen Einflüsse ungefiltert nach außen. So ist beispielsweise „Kid Congo“ von seinem dritten Album „Saturn Strip“ eine peitschende Rockabilly-Hommage. Der glasklare Sound lässt Vega wie einen deutlich klassischeren Rocksänger klingen – der aber auch ohne Revs Maschinenterror aus jeder Silbe pures Charisma versprüht.

„DTM“ (2016)

Zwischen „Saturn Strip“ und Vegas Tod erschienen acht weitere Soloalben. Eines der spannendsten war Vegas letztes: Gemeinsam mit seiner Ehefrau Liz Lamere nahm er im Verlauf seiner letzten sechs Jahre, die von einem Herzinfarkt und einem Schlaganfall im Jahr 2012 beeinflusst waren, „IT“ auf. Veröffentlicht wurde das Album genau ein Jahr nach seinem Tod. Es ist ein verstörendes Album geworden, mit bis zum Anschlag verzerrter Elektronik und einem immer noch krächzenden und schreienden Vega. Songs wie der brutale Industrial-Albtraum „DTM“ beweisen eindrucksvoll, was er anderen KünstlerInnen seiner Generation voraus hatte: Alan Vega ist bis zu seinem Tod kompromisslos geblieben.

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