Bärchen und die Milchbubis – „Endlich komplett betrunken“ (Rezension)

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Bärchen und die Milchbubis – „Endlich komplett betrunken“ (Tapete Records)

8,6

Bärchen und die Milchbubis, eine Band aus Hannover irgendwo zwischen Punk und Neue Deutsche Welle. 1980 brachten sie ihre erste EP heraus mit der Mitgröl-Hymne „Jung kaputt spart Altersheime“, die unter anderem Bela B „rauf und runter gehört“ haben soll. Ein Jahr später folgte die LP „Dann macht es Bumm“, nach eigenen Angaben in nur zwei Tagen aufgenommen und abgemischt. Begeisterte Kritiken gab‘s unter anderem in der Bravo und Die Zeit, drei Livetouren, 1983 dann die plötzliche Auflösung. „Wir hatten die musikalische Orientierung so ein bisschen verloren“, sagt Sängerin Annette „Bärchen“ Simons knapp vierzig Jahre später im Interview mit Ruben Jonas Schnell.

Nun melden sich Bärchen und die Milchbubis aus der Versenkung zurück: „Endlich komplett betrunken“ enthält ihr Gesamtwerk sowie Sampler-Beiträge, zwei neue Studio-Aufnahmen und ausgewählte Live-Mitschnitte (die zwar wenig verständlich sind, aber ein deutliches Stimmungsbild abgeben). Kein Album im klassischen Sinne, sondern eine Compilation zum Erinnern und Freuen. Der nostalgische Spaß sei alteingesessenen Fans gegönnt – aber ist das für diejenigen, die nach 1980 geboren wurden, interessant?

Früher war weniger Homofeindlichkeit

Absolut! Denn neben Spaß-Punk verhandeln einige Tracks auf dieser Werkschau Lebensgefühle, die auch bei Millennials andocken dürften: „Die Angst um meine Zukunft bringt mich völlig ins Rotieren / Was tu ich, was mach ich, wie verdien‘ ich mein Geld?“, fragt Simons in „Manager“. „Spaß“ zeigt die Grenzen der Achtsamkeit auf. Was, wenn sich die eigenen Probleme trotz Meditation und Detox einfach nicht lösen lassen? – Dann will Bärchen wenigstens den Spaß zurück.

In einfachen Texten drücken Bärchen und die Milchbubis das aus, was heute sehr klug klingende Begriffe beschreiben: internalisierter Kapitalismus, toxische Männlichkeit („Muskeln“, „Tiefseefisch“), Sexpositivität („Schweinekram“) – alles dabei. Mit dem neu aufgenommenen Mashup „Tagebuch/Samen im Darm“ (The Cretins lassen grüßen) reagieren Bärchen und die Milchbubis außerdem auf gesellschaftliche Homofeindlichkeit, die in Simons‘ Augen in den vergangenen Jahren eher zu- als abgenommen hat.
Garniert wird das Ganze mit knarziger Gitarre und heiserem Gesang, der des Öfteren den Ton verfehlt. Das soll ja auch so. „Endlich komplett betrunken“ ist eine Erinnerung daran, dass es nicht viel mehr als ein paar Akkorde braucht, um Musik mit Stimmung und Haltung zu machen. Und dass das Leben auch mit „No-Future“-Attitüde irgendwie weitergeht. „Von heute an will ich nicht älter werden“, hat Simons 1981 gesungen. Schön, dass dieses Vorhaben gescheitert ist: 2022 wollen Bärchen und die Milchbubis zurück auf die Bühne.

Veröffentlichung: 10. Dezember 2021
Label: Tapete Records

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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