Ride – „Interplay“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 1. April 2024

Cover des Albums „Interplay“ von Ride, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Ride – „Interplay“ (Wichita Recordings)

Von allen Social-Media-Plattformen ist TikTok vermutlich die seltsamste. Die chinesische Kurzvideo-App verwandelt genauso unberechenbar wie regelmäßig nischige Nerd-Subgenres in Phänomene, die Millionen von Teenagern begeistern. Welche App kann sonst schon von sich behaupten, Sowjet-Post-Punk, abstrakter Ambient-Musik oder obskuren Pavement-B-Seiten zu achtstelligen Streaming-Zahlen zu verhelfen?

TikTok sei Dank ist aktuell eines der populärsten Gen-Z-Genres Shoegaze. Bands wie Duster, die in den 90er-Jahren nur eine Handvoll Platten verscherbeln konnten, können plötzlich mehrere hundert Millionen Streams vorweisen – während Dutzende neue Acts ihren verhallten, ausgewaschenen Sound in die Gegenwart übersetzen. Der perfekte Zeitpunkt für ein Comeback der Elder Statesmen (and -women) des Genres. Slowdive veröffentlichten im vergangenen Jahr das kommerziell erfolgreichste Album ihrer Karriere, während besagte Duster heutzutage nicht mehr in ranzigen Indie-Absteigen, sondern auf großen Festival-Bühnen performen. Und siehe da: Auch Ride sind wieder da.

Junge Wilde vs. Elder Statesmen

Genau wie Slowdive oder auch My Bloody Valentine gehören Ride zu den Pionierfiguren des Genres: Ihr 1990er Debütalbum „Nowhere“ ist fester Teil des Kanons, neben Meilensteinen wie My Bloody Valentines „Loveless“ oder Slowdives „Souvlaki“. Genau wie ihre Kolleg*innen fanden die vier Briten große Schönheit inmitten von verzerrten und rauschenden Gitarrenwänden. Im Vergleich zu ihren Mitstreiter*innen war ihr Sound etwas direkter, ihr Gesang nicht ganz so verhuscht, ihre Melodien klarer definiert. Eine Tendenz, die sie auf dem etwas mehr dem Rock zugewandten Nachfolger „Going Blank Again“ fortsetzten. 1996 lösten Ride sich aufgrund interner Konflikte auf. Das aktuell andauernde Comeback dieser Shoegaze-OGs ist dabei kein schnödes Trend-Hinterherrennen – schließlich veröffentlicht das Quartett bereits seit 2017 wieder neue Musik. Dennoch ist ihr nun erschienenes siebtes Album „Interplay“ gerade im Kontext des Genre-Revivals sehr faszinierend.

Die neuen jungen Wilden, die sich heutzutage den Shoegaze aneignen, tun das im extremen Lo-Fi-Spirit. Gen-Z-Acts wie Flyingfish basteln ihre Wall Of Sounds nicht aus teuren Röhrenverstärken und Boutique-Pedalen, sondern aus kostenlosen oder günstigen digitalen Audio-Plugins.

Shoegaze-Maximalismus

Im Kontrast dazu ist „Interplay“ nahezu konservativ. Im Verlauf der zwölf Songs spielen Ride zwar nicht „nur“ klassischen Shoegaze, hier und da ertönen kräftige Synthesizer-Hooks („Monaco“), Saxofon-Riffs („Peace Sign“) und Highlife-Gitarren („Sunrise Chaser“). Doch der grundlegende Spirit von „Interplay“ ist akustischer Shoegaze-Maximalismus. Andy Bells und Mark Gardeners Gitarren-Wellen brechen in vollstem Hi-Fi-Glanz die Hörer*innen herein, während Steve Queralts Bass in Songs wie „Midnight Rider“ mit voller Kraft pumpt. Bells und Gardeners Stimmen sind genretypisch verhuscht, aber mit nahezu brit-pop’schem Selbstbewusstsein vorgetragen (kein Wunder, war Bell nach dem vorzeitigen Ende von Ride doch jahrelang Bassist bei Oasis). Dieses Album klingt teuer. Nach großem Studio und großen Egos.

Und genau darin liegt sein Wert. Die Fuzz-Bass und Akustik-Gitarren mischende Ballade „Stay Free“ ertrinkt zum Ende in einem gigantischen Klangozean. Zum Finale von „Light In A Quiet Room“ entfachen Ride ein Shoegaze-Noise-Feuerwerk, das man so seit My Bloody Valentines „You Made Me Realise“ nicht mehr gehört hat. Mit stadiontauglichen Hymnen wie „Portland Rocks“ werden Ride wahrscheinlich die sich nach trauriger Authentizität sehnenden TikTok-Teens kaltlassen. Doch wenn diese vier Menschen alle Register ziehen, können sie eine Kraft entfachen, die keine Laptop-Software emulieren kann.

Veröffentlichung: 29. März 2024
Label: Wichita Recordings

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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