Sleater-Kinney – „The Center Won’t Hold“ (Album der Woche)

Cover des Albums „The Center Won't Hold“ von Sleater-Kinney

Sleater-Kinney – „The Center Won’t Hold“ (Caroline International)

Der Albumtitel „The Center Won’t Hold“ suggeriert einen Rundumschlag gegen ein implodierendes System. Eine Platte voller agitatorischer Tritte genau zwischen die Beine des Patriarchats. Stimmt aber nicht ganz, denn so einfach ist das bei Sleater-Kinney nicht. Die Riot-Grrrl-Band mag es zwar seit den Neunzigern politisch, aber wenn, dann gerne subversiv. Dieser Tick und der stetig evolutionierende Sound von Carrie Brownstein, Corin Tucker und Janet Weiss machten aus dem Trio aus Olympia, Washington eine der einflussreichsten Bands der vergangenen Dekaden.

Warum das so ist, bekommt man direkt zu spüren. Der Opener und zugleich Titeltrack brummt und knarzt dystopisch, Schläge auf Metall bilden ein rhythmisches Pattern. Dazu ein Klavier, das klingt, als würde es mit Hammer und Meißel bespielt werden. Es wäre nicht verwunderlich, plötzlich Blixa Bargelds Stimme in diesem Szenario zu hören. Wenn alte Typen wie er auf einer Sleater-Kinney-Platte nicht so unglaublich deplatziert wirken würden. Also bauen Brownstein und Tucker eine unheilvolle Spannung auf. Mit Zeilen über die Flucht in den Konsum, die die allgegenwärtige Ahnung des Kaputten übertünchen soll. Plötzlich mutiert der Song und wird zum Grunge-Brecher.

Ein makaberer Tanz, aber nicht ohne Hoffnung

Sleater-Kinney haben sich auf ihrem aktuellen Album mit Annie Clark aka St. Vincent verbündet. Die Art-Rock-Hohepriesterin war für die Produktion der Platte zuständig und kanalisierte zusammen mit Brownstein, Tucker und Weiss neue Energien für deren neuntes Album in 25 Jahren Bandgeschichte. Umso überraschender war es da, dass Schlagzeugerin Janet Weiss nach Abschluss der Aufnahmen ihren Ausstieg aus der Band verkündete.

Die Agenda für „The Center Won’t Hold“ war jedoch klar: Songs über weibliche Körper zu schreiben. Daher auch ein Sound, der physischer ist, als bisher. Für Songs wie „Ruins” wurde ein breites Arsenal an Bass-Synths angekarrt. Und wer mal eine Weile neben einem Subwoofer gestanden hat, weiß, dass das kein schlechter Lösungsansatz ist. Aber keine Angst: Es ist noch genug Raum für Brownstein und Tuckers wahnwitzige Gitarren-Eskapaden. „Hurry On Home“ etwa beginnt als bretthartes, pumpendes Groove-Monstrum und der Pre-Chorus mit seinem markanten Stakkato-Gesang kommt, um als Ohrwurm zu bleiben. Der Refrain öffnet sich mit verzahntem Off-Beat und aufheulenden Gitarren, während das lyrische Ich einen Neuanfang in einer obsessiv-kaputten Beziehung braucht: „Disconnect me from my bones / So I can float, so I can roam / Disconnect me from my skin / Erase the mark begin again“. „A Restless Life“ transportiert durch seine schrammelig-gepickte Gitarren den Vibe der frühen Sleater-Kinney und Tracks wie „Reach Out“ und „Can I Go On“ erinnern daran, in all dem Schlamassel das Tanzen nicht zu vergessen.

Und dass dieser Tanz ein wenig makaber ist, wird im Verlauf der Platte klar. Denn „The Center Won’t Hold“ entpuppt sich als Bestandsaufnahme einer zerstückelten Gesellschaft, in der sich Individuen immer weiter isolieren und verbittert durch das Chaos irren. Liest sich unendlich deprimierend, klingt aber bei Weitem nicht so. Vielleicht weil immer ein wenig Trotz, ein bisschen Hoffnung durchschimmert: „Be the weapon, be the love!” schmettern Sleater-Kinney den Hörer*innen in „Bad Dance” entgegen. Wenn das Trio sich in den Neunzigern nicht schon nach einer Straße benannt hätte, es wäre so langsam an der Zeit eine Straße nach ihnen zu benennen.

Veröffentlichung: 16. August 2019
Label: Caroline International

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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