Everything But The Girl – „Fuse“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 24. April 2023

Cover des Albums „Fuse“ von Everything But The Girl, das unser Album der Woche ist

Everything But The Girl – „Fuse“ (Buzzin‘ Fly Records)

Everything But The Girl haben nichts zu verlieren. Denn das britische Duo hat vor beinahe einem Vierteljahrhundert ein beeindruckendes Pop-Erbe hinterlassen, als es nach seinem 1999er Album „Temperamental“ den Betrieb einstellte. Ein Erbe, das so sehr im Soundtrack der 80er- und 90er-Jahre verankert ist, das man es nachträglich schwerlich herauslöschen könnte. Manche Hits wie das jazzige „Each And Every One“ vom 1984er Debütalbum „Eden“ erscheinen heute zeitlos. Andere, wie „Driving“ aus der 1990er-Mainstream-Sound-Phase, sind Kinder ihrer Zeit. Kaum jemandem dürfte „Missing“ (1994) in Todd Terrys House-Remix unbekannt sein, der Ben Watt und Tracey Thorn in unerwartete Chart-Höhen katapultierte. Es schlossen sich zwei Alben voller Einflüsse aus Drum & Bass und Garage-House an, die nicht kalkuliert klangen, sondern cutting-edge. Everything But The Girl hatten sich genreübergreifend etabliert, ein eklektisches, aber rundes Vermächtnis hinterlassen und sich zur Ruhe gesetzt, um ihre gemeinsamen Kinder großzuziehen und musikalischen wie literarischen Soloprojekten nachzugehen.

Dann kündete Anfang 2023 „Nothing Left To Lose“ von einem neuen Album. Als Thorn und Watt die Arbeit daran begannen, versicherten sie einander, dass sie auf kein bestimmtes Ziel hinarbeiteten. Doch als Thorns Gesangsspuren dazukamen, dämmerte ihnen, dass das Unterfangen nicht mehr bloß Jux und Dollerei war. Everything But The Girl hatten ihren Sound für 2023 gefunden. Da auch 24 Jahre Pause ihrer modernistischen ästhetischen Unrast nicht Einhalt gebieten konnten, ist „Fuse“ kein gesetztes Alterswerk. Sondern wie jedes ihrer Alben ein ästhetisches Wagnis. Ein Wagnis, das aufgeht und einen konsistenteren Sound zeitigt als beim gelungenen, jedoch zuweilen etwas disparaten Vorgänger. Zusammengehalten hauptsächlich von Thorns Gesang, mit trockenem Witz und nüchternen Beobachtungen. Doch das Timbre ihrer Stimme, der Wappenschild der Band, ist heute anders. Zwar hängt das auch damit zusammen, dass Thorn nicht mehr Mitte 30 ist, sondern 60, doch gerade, weil die Stimme als sakrosankt gilt, verfremdete das Duo sie mit Wonne zusätzlich.

Sehnsucht und Realismus

Wer nur ein Album macht, wenn es nach eigenem Empfinden ästhetischen Mehrwert hat, tut gut daran, sich weit aus dem Fenster zu lehnen. So erinnert es ein wenig an Frank Oceans „Blonde“-Album-Opener „Nikes“, wie die Effekt-Kette Thorns Vocals im rührend schönen „When You Mess Up“ mittendrin bis zur Unkenntlichkeit durchgemangelt ausspuckt. Diese beatlose Ode an die Selbstakzeptanz wirft als vierter Track des Albums einen Anker, den man langsam sinken sieht, bis er sicheren Halt verspricht. Nach den clubbigen Singles „Nothing Left To Lose“ und „Caution To The Wind“, unterbrochen vom zumindest von Clubszenen inspirierten „Run A Red Light“, erscheint der Song als Widerhall der Corona-Lockdowns. Der Beat bricht weg wie das Club- und überhaupt das soziale Leben und man sieht sich konfrontiert mit den eigenen Ängsten. Nicht immer steht die eigene Verletzlichkeit so sehr im Zentrum wie hier oder in „Lost“ oder „Interior Space“. Zwar schwingt sie immer irgendwie mit, doch zu ihr gesellen sich Realismus und Sehnsucht nach Mitmenschen.

So skizziert „No One Knows We’re Dancing“ Schicksale aus dem Publikum von Watts Nullerjahre-Sonntags-Partys. Mit wortkarger Eloquenz und der wohl schönsten musikalischen Referenz an den Fiat Cinquecento. Mit „Karaoke“ endet „Fuse“ nach optimistischem Anfang und emotionaler Reise wieder mitten im Augenblick. Denn nur genau jetzt können wir machen, was wir wollen. Beispielsweise in der Karaoke-Bar, in der das Stück spielt. Wo Tracey Thorn singt, um gebrochene Herzen zu kitten. Oder um die Party loszutreten.

Veröffentlichung: 21. April 2023
Label: Buzzin‘ Fly Records

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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Diskussionen

4 Kommentare
  1. posted by
    Olaf
    Apr 25, 2023 Reply

    Ahoi,

    ich bin bzw. ich war stets ein großer Fan der Band und das schon seit ihrem Debutalbum irgendwann in den 80ern. Aber das neue Album? Auf mich wirkt das wie Gedudel von der Stange. Für mich eher das langweiligste Comeback des Jahres und keine Platte des Monats.

    Warum ist das neue Album von Lana de Rey eigentlich nicht Platte des Monats geworden? Ein abgrundtiefes Meisterwerk, welches, wenn ich nix verpasst habe, auf Byte bislang nur von Klaus Fiehe in seiner Sendung Karamba gewürdigt wurde. Für mich jetzt schon das Album des Jahres!

    all the best!
    Olaf

    • posted by
      ByteFM Redaktion
      Apr 25, 2023 Reply

      Lieber Olaf, wir finden schon, dass das neue Album von EBTG ein würdiges Album der Woche ist – aber Geschmäcker sind ja verschieden. Das neue Album von Lana Del Rey wurde übrigens schon in zahlreichen Sendungen thematisiert: Waldspaziergang, Praxis Pop, Knuspern, Canteen, Regler rauf, Regler runter, taz.mixtape, Korridor etc.pp. Unserem Team gefällt also auch das sehr gut und es wird mit großer Sicherheit am Ende des Jahres auch in einigen unserer Bestenlisten auftauchen. Viele Grüße, die ByteFM-Redaktion.

  2. posted by
    Olaf
    Apr 25, 2023 Reply

    Liebes Byte-Team,

    ich höre ja schon sehr häufig Byte, aber wahrscheinlich manchmal nicht häufig genug. Dann habe ich die ganzen Würdigungen von Lana wahrscheinlich deshalb verpasst, weil ich die ganze Zeit direkt ihr neues Album gehört habe. Lana und Byte im Wechsel (und zwischendurch The Cure und die Pet Shop Boys), das passt!

    Vielen Dank an dieser Stelle für das, was Ihr mit Byte täglich auf die Beine oder auf die Ohren stellt! Immer wieder ein Hochgenuss!

    Viele Grüße aus meinem Büro!
    Olaf

    • posted by
      ByteFM Redaktion
      Apr 25, 2023 Reply

      Lieber Olaf, vielen Dank für die lieben Worte! <3

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