Habibi – „Dreamachine“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 3. Juni 2024

Cover des Albums „Dreamachine“ von Habibi, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Habibi – „Dreamachine“ (Kill Rock Stars)

„Tell a dream, lose a reader“, soll der US-Schriftsteller Henry James (1843-1916) angeblich einst gesagt haben. Und war seiner Zeit damit um einiges voraus. Dass das Nacherzählen der eigenen Träume bei anderen eher Achselzucken und Indifferenz hervorruft, kennen vermutlich viele. Oder in den Worten von Built To Spill: „No one want’s to hear what you dreamt about / Unless you dreamt about them.“ Wie öde das Teilen solch intimer Gedanken tatsächlich ist, muss jede*r selbst entscheiden. So etwas Privates und Abstraktes wie einen Traum in packende Worte zu fassen, ist aber in jedem Fall eines: schwierig.

Psychedelische Traumtänzerei

Wenn das schon nicht leicht ist, wie schwer ist es dann, einen Traum fühlbar zu machen? Nur wenige beherrschen diese Disziplin. David Lynch kann das sehr gut, mit seinen Filmen, die die hinteren Ecken des Stammhirns kitzeln. Gleiches gilt für einige Maler*innen, ob die barocken Albträumen eines Hieronymus Bosch oder die pastellfarbenen Verzerrungen von Maria Lassnig. Und auch Habibi beherrschen diese hohe Kunst. „Träume sind für uns ein Ort der Zuflucht“, sagen Rahill Jamalifard und Lenny Lynch, Gründerinnen und Kernmitglieder des New Yorker Quintetts. „Sie sind der Faden, der uns mit dem Unbekannten verbindet.“ Aus diesen Fäden haben sie nun ihr passend betiteltes drittes Studioalbum „Dreamachine“ gewoben. Auf ihrer ersten LP in vier Jahren laden die fünf Musikerinnen uns auf eine Reise durch ihr geteiltes Unterbewusstsein ein.

Diese Traumtänzerei zeigt sich zuerst in einem deutlich breiteren musikalischen Horizont, als man es sonst von dieser Band gewohnt ist. Und das soll was heißen: Als Habibi 2011 ihre Karriere begannen, kombinierten sie Garage-Rock-Gerumpel mit Girlgroup-Harmonien und persischer Underground-Psychedelia. Dieses ohnehin schon sehr bunte Gemisch ist auf „Dreammachine“ noch farbenprächtiger geworden. „On The Road“ eröffnet die LP mit matschig verzerrter Lead-Gitarre und einer aggressiv pumpenden Rhythmusgruppe. Die Synthesizer oszillieren so wild durch den Raum wie die Lichter der rotierenden Stroboskoplampe, nach der dieses Album benannt wurde. Ein schmutziges Amalgam aus Post-Punk und Disco. Habibi klangen noch nie so gefährlich. „I come from a family of five“, sprechsingt Jamalifard im Refrain – und scheint gleichzeitig ihre aus dem Iran emigrierte biologische Familie sowie ihre fünfköpfige Band zu meinen.

Matschige Gitarren und schwelgende Synths

Doch wie es sich für einen guten Traum gehört, bleibt im Verlauf von „Dreamachine“ nichts von Bestand. Das nächste Stück ist „In My Dreams“, auf dem die Gruppe den Pop-Appeal demonstriert, den Jamalifard im vergangenen Jahr auf ihrem Solodebüt „Flowers At Your Feet“ an den Tag legte. Es ist ein sehnsüchtiges Stück Dreampop, mit hemmunglos schwelgenden Synth-Melodien und einer Strophe, die eingängiger ist als viele Refrains. Weiter geht es mit dem Psych-Funk von „POV“ und dem rifflastigen Garage-Rock von „Do You Want Me Now“ – das einzige Stück von „Dreamachine“, das kürzer als vier Minuten ist.

Die restlichen Songs lassen sich genüsslich Zeit. Die mit ihren fünf Minuten ihrem Namen nicht wirklich gerecht werdende „Interlude“ beginnt mit minimalistischem, anatolischem Psych-Pop und entpuppt sich zum Ende als fast schon progigges Gitarrengewitter. Die Gitarrenarbeit ist durch die Bank sowieso fantastisch: In „Losing Control“ schlängeln sich beide umeinander, schrauben sich in höchste Höhen. Auch im Abschluss „Alone Tonight“ verzahnen sich mehrere Funk-Licks ineinander, bis einem schwindelig wird – und plötzlich eine jazzige Trompete einsetzt. Diese Songs folgen ihrer ganz eigenen surrealen Logik, verwandeln sich binnen Sekunden. Es macht Spaß, dieser Band beim Träumen zuzuhören.

Veröffentlichung: 31. Mai 2024
Label: Kill Rock Stars

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

Das könnte Dich auch interessieren:



Deine Meinung

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert