Jenny Hval – „Classic Objects“ (4AD)
Jenny Hval hat ein straightes Pop-Album gemacht. Das alleine wäre schon Sensation genug. Schließlich handelt es sich bei der norwegischen Musikerin und Autorin um eine der kompromisslosesten Künstlerinnen der Gegenwart. So begann ihre 2015er LP „Apocalypse, Girl“ noch mit abstraktem Industrial-Geklacker und messerscharfen Spoken-Word-Zeilen wie diesen: „If you have a child you better learn how to bake / I beckon the cupcake, the huge capitalist clit.“ Catchy Melodien gibt es zwar durchaus in ihrer Musik, aber meist als Gegenpol zu schwergewichtigen Themen, wie beispielsweise auf „Blood Bitch“, ihrem 2016er Konzeptalbum über Vampire, Kapitalismus und Menstruation.
Was soll man nun erwarten, wenn solch eine Künstlerin ihr neuestes Opus als eine Pop-LP beschreibt? Genau das sagt Hval über „Classic Objects“, ihr achtes Album. Und siehe da, es beginnt mit einem zarten Triangel-Groove und angenehmen Dub-Vibes. Und der Opener „Year Of Love“ bleibt keine Ausnahme: Alle Songs von „Classic Objects“ fallen unter die klassische Strophe-Refrain-Struktur, gegen die frühere Hval-Alben noch rebellierten. Da ist der von digitalen Bongos und strahlenden Synthesizern getragene Titeltrack. Da ist „Cemetery Of Splendour“, das trotz des morbiden Titels mit seiner Hookline den Himmel aufreißt. Und da ist das abschließende „The Revolution Will Not Be Owned“, das mit seinen warmen Piano-Flächen und sanften Grooves an den ätherischen Folk von Cassandra Jenkins erinnert.
Vom Kunstwerk zum Objekt und wieder zurück
Doch all der musikalischen Schönheit zum Trotz bleibt auch „Classic Objects“ ein Jenny-Hval-Album. Die Schönheit ist vielmehr Teil des Konzepts. Ein allgegenwärtiges Thema dieser Platte ist Wehmut. Die titelgebenden „Classic Objects“ sind für Hval Kunstwerke, die in der relativ kunstfreien Pandemie-Zeit, in der es wenig direkten Austausch gab, ihre Funktion verloren haben – wie sie am 7. März 2022 im ByteFM Magazin erklärte. Einstmalig mit künstlerischen Absichten versehene Dinge, die zu bloßen Objekten verkommen sind. „Now I rearrange objects that my friend made for my show / I’m not sure if these are art or just stuff she made for me / But I rearrange them on the countertop like I’m examining a stage plot / Working on my performance“, singt sie im Titeltrack. Mit den kristallenen Klängen dieses Albums scheint sie diese wieder zum Leben zu erwecken. Aus konzeptueller Sicht ist auch „Classic Objects“ wieder ein unfassbar dichtes Werk geworden. Doch mehr als bisher versieht Hval ihre Poesie diesmal mit strahlenden Melodien, die in ihrer Schönheit auch ohne den theoretischen Überbau funktionieren.
Veröffentlichung: 11. März 2022
Label: 4AD