Adrianne Lenker – „Bright Future“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 25. März 2024

Cover des Albums „Bright Future“ von Adrianne Lenker, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Adrianne Lenker – „Bright Future“ (4AD)

Das fünfte Soloalbum von Adrianne Lenker beginnt mit langsamen Klavierakkorden in Moll. Man hört das Rauschen im Studio, hört die Stimmen von Lenker und ihren befreundeten Mitmusiker*innen, eine Geige wird angestimmt. Ein passendes Intro für das größtenteils live in Bandbesetzung eingespielte „Bright Future“ – und eine erste Überraschung nach Lenkers bis dato von der Gitarre geprägten Soloalben. Die zweite große Veränderung: Hörte man auf den früheren Alben fast ausschließlich Lenker selbst, fühlt sich „Bright Future“ mehr nach einem Band-Album an. Klingt auf einigen Songs gar eher nach ihrer Band Big Thief als nach Adrianne Lenker solo. Die beteiligten Musiker*innen waren jedoch nicht ihre angestammten Bandkollegen, sondern Nick Hakim (Klavier, Backing Vocals), Mat Davidson von der Band Twain (Gitarre, Backing Vocals) und Josefin Runsteen (Geige, Percussion).

Doch schon der Opener „Real House“ macht klar, dass wir es hier mit einem Adrianne-Lenker-Album zu tun haben: Gleich im ersten Satz singt die Musikerin von „purity“. Ein Wort, das ihren Gesang und ihre Texte seit jeher gut beschreibt. In „Real House“ erzählt sie sehr autobiografisch-direkt aus ihrem Leben, fast schon im Spoken-Word-Stil: „When I was seven I saw the first film that made me scared / And I thought of this whole world ending / I thought of dying unprepared.“ Der Song ist an ihre Mutter adressiert. Lenker erzählt Episoden aus ihrer Kindheit, die offenbar nicht einfach war. Bis zum Alter von zehn Jahren lebte sie mit ihren Eltern in verschiedenen Sekten, an wechselnden Orten. Die Familie fand einen Weg heraus, doch die Eltern trennten sich, als Lenker zwölf war.

Nicht nur der Cowboy-Hut verweist auf Country

Aus Traurigkeit kann große Kunst entstehen. So ist auch der Titel des beschwingten zweiten Tracks „Sadness As A Gift“ zu verstehen. Wenn hier die Geige einsetzt, kommt spontan die Entwicklung von Bright Eyes von „Lifted …“ hin zu „I’m Wide Awake It’s Morning“ in den Sinn. Auf Obersts Label Saddle Creek waren ja auch die ersten Soloalben von Adrianne Lenker erschienen. 2014 veröffentlichte sie dort ihr erstes Album „Hours Were The Birds“, sieht man von der Country-Pop-Platte „Stages Of The Sun“ ab, die sie im Alter von 13 Jahren aufnahm. Im selben Jahr folgten mit „a-sides“ und „b-sides“ zwei EPs mit ihrem damaligen Partner und heutigen Bandkollegen Buck Meek, bevor die beiden 2015 mit Bassist Max Oleartchik und Schlagzeuger Jason Burger (seit 2016 ersetzt von James Krivchenia) Big Thief gründeten.

Seither laufen Band- und Solokarriere parallel bzw. sind oft genug miteinander verflochten: Manche Songs von Lenkers „Abysskiss“ (2018) wurden auf Big Thiefs „U.F.O.F.“ (2019) gemeinsam neu vertont. Auch auf „Bright Future“ bleibt Lenker dieser Tradition treu und lässt „Vampire Empire“, die letztjährige Single von Big Thief, in einem anderen Gewand erscheinen. Oder ist das hier die Originalversion? Die Grenzen verschwimmen. So oder so gewinnt der Fan-Liebling „Vampire Empire“ in der hier vorliegenden, geschrammelten Westerngitarren-Version nochmal an Dringlichkeit.

Eine nicht ganz so strahlende Zukunft

Songs wie „No Machine“ oder „Cell Phone Says“ verweisen auf Lenkers bisweilen kritische Haltung zu digitalen Geräten: „Let no machine eat away our dream.“ Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang auch der komplett analoge Aufnahmeprozess: Die Songs wurden zunächst auf Tonband aufgenommen, dann auf einem analogen Mixer abgemischt und zu guter Letzt auch analog gemastert. Produzent Philip Weinrobe, der schon für das Vorgängeralbum mit Lenker in einer abgelegenen Holzhütte in Massachusetts ein improvisiertes Studio eingerichtet hatte, war erneut für die Aufnahmen verantwortlich. Auf Lenkers Instagram-Account gab er zu Protokoll: „Adrianne und ich guckten nicht ein einziges Mal auf einen Computerbildschirm, während wir dieses Album machten.“

Statt Bildschirmhelligkeit also eine strahlende Zukunft? Das Wort „bright“ solle nicht einseitig positiv verstanden werden, so Lenker: „Licht kann blenden… auch Explosionen sind hell.“ Dystopisches klingt auch in den Texten an, zum Beispiel in „Donut Seam“: „This whole world is dying / Don’t it seem like a good time for swimming / Before all the water disappears.“ Statt sich aber weiter mit Klima-Ängsten auseinanderzusetzen, ist der Song ein wehmütiger Nachruf auf eine Beziehung. Das Ende der Beziehung mit der Musikerin Indigo Sparke hatte Lenker bereits auf „Songs“ und “Instrumentals“ betrauert. Auf „Bright Future“ gibt es beides: Traurigkeit und Hoffnung.

Höhepunkt des Albums ist der Love-Song „Free Treasure“. Über dessen Entstehung sagte Lenker: „Mat Davidson und ich gingen im Fluss baden, dann gingen wir zurück ins Studio und nahmen den Song auf.“ Das Bild passt gut: Die Musik scheint durch Lenker zu fließen wie das Wasser im Fluss, und es scheint nicht viel Anstrengung oder mühselige Studioarbeit nötig zu sein. Es reicht, wenn jemand auf den Aufnahmeknopf drückt.

Veröffentlichung: 22. März 2024
Label: 4AD

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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