Porij – „Teething“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 29. April 2024

Cover des Albums „Teething“ von Porij, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Porij – „Teething“ (PIAS)

Ein wirklich tolles, neu klingendes Pop-Album zu machen, ist schwer. Strenggenommen gehört Pop zu den am schwierigsten zu schreibenden Musikarten, befindet Scout Moore alias Egg, Sänger*in und Keyboarder*in von Porij. Was kein bloßes Bauchgefühl ist. Denn die britische Band lernte sich beim Studium an der Musikhochschule in Manchester kennen. Mithin wissen Porij also sehr genau, was sie tun. Daher stellen sich die Mitglieder nie durch Zurschaustellung ihrer technischen Fähigkeiten ihrer klaren Vision in den Weg. Zueinander fand die Urbesetzung 2019 über eine gemeinsame Liebe zu elektronischen Beats. Wenngleich ihre 2020er Debüt-EP „Breakfast“ vorwiegend den Dancefloor bediente, trifft die Vermarktung des Quartetts als „neue queere Dance-Pop-Hoffnung“ auf das Debütalbum „Teething“ kaum mehr zu.

Als Ende 2023 die Leadsingle „You Should Know Me“ erschien, passte dieses Attribut noch vortrefflich. Doch die bolzende Rave-Ode an draufgängerische Vorfreude ist ein unsubtiler Ausreißer eines eigentlich vom Understatement lebenden und dennoch großen, interessanten Pop-Albums. Musik für die Größe des Stadionkonzerts von Coldplay sogar, bei dem die noch albumlose Gruppe kein halbes Jahr vor der Single in Manchester auftrat. Zwar leitet im Albumopener ein zweifaches „Let’s Dance“ den Refrain ein, der dann aber nur bedingt tanzbar ist. Überdies erscheint der Ausruf eher als Herausforderung zum Zweikampf. Benannt ist das Stück nach dem Großbritannien in zwei Lager spaltenden Brotaufstrich Marmite. Die hefebasierte Würzpaste versinnbildlicht hier eine toxische Persönlichkeit. „Salty“ ist diese (was „salzig“ oder aber auch „stocksauer“ heißen kann), und voller dunkler Energie.

Ein Album wie ein Haus

In einem Interview hat Porij-Schlagzeuger Nathan Carroll den Opener zum wichtigsten Song eines Albums erklärt. Ein Album sei ein Haus, das man durch den ersten Track betritt. Somit prägt er den ersten, bleibenden Eindruck. Diese Impression erinnert in der verhaltenen Verhalltheit seines Refrains ein wenig an The xx auf ihrem dritten Album „I See You“. Allerdings weniger deprimierend und pathetisch, und eher auf Melodien als auf den bloßen Vibe abzielend. Doch zwischen den geschmackvoll-schlicht tapezierten Wänden verleiht das funktional-coole Mobiliar dem Albumhaus seinen Charakter. In „Marmite“ repräsentiert dies die Strophe mit ihrer kompromisslosen Haltung. Die Bewohner*innen haben keinen Platz für nervtötenden Bullshit. Was aber nicht heißt, dass kein Raum für Nabelschau wäre.

Den zweiten Song „Unpredictable“ schrieb Egg in herbstlicher Sehnsucht nach einem vergangenen, einfacheren Leben während einer emotional sprunghaften Phase. Die Formgebung repräsentiert diesen Zustand perfekt. So bläst der zumindest musikalisch euphorische Refrain genauso abrupt die Stophentrübsal hinfort, wie sein Abbruch einem freien Fall gleichkommt. Ähnlich funktioniert das anschließende „Don’t Talk To Me“. Hier versucht ein emotional gelinktes lyrische Ich, seine Situation zu begreifen. Während es in den kontemplativen Strophen die Lage analysiert, schottet es sich im aufbrausenden Refrain von seinem Gegenüber ab. Über einem sich auftürmenden Post-Dubstep-Wall-of-Sound wiederholt es mantraartig: „I don’t understand where it went wrong / So don’t talk to me!“

Abstand und Aufruhr

Herzschmerz als dominierendes Album-Thema ist weder ungewöhnlich noch ehrenrührig. Schließlich ist dieser das traditionelle Hauptthema der Lyrik allgemein. Die schönste Form dafür findet „Ghost“ mit der weichzeichnenden Vagheit von Bands wie Warpaint. Unter dem sanften Nebel des filigranen Arrangements liegt Egg in enger Umarmung mit einem Geist. Den Echos einer zweisamen Zukunft, die hätte sein können. Doch es ist weniger ein Nachtrauern als ein Sich-Arrangieren mit der Wirklichkeit. Vielleicht mit einer Träne im Knopfloch, aber mit gesundem Abstand. Schwerer hingegen fällt das Abstandnehmen in „Stranger“. Dessen titelgebender Fremder ist Eggs immer als der falsche empfundener Körper. Passenderweise drücken melancholische Klavierakkorde die Leichtigkeit des luftigen Jungle-Beats nieder.

Anschließend übernimmt „Sweet Risk“ den Jungle-Faden. Diesmal allerdings mit dem Adrenalinstoß einer Entscheidung, deren Konsequenzen man erst einmal ignoriert. Aber die Ernüchterung folgt auf dem Fuße: „Gutter Punch“. Dessen überwältigende Dubstep-Basswalze illustriert das Gefühl, ausgeknockt und orientierungslos zu sein. Langsam ergibt die Tracksequenz eine Storyline. In deren Kontext wirkt „You Should Know Me“ wie ein Sich-den-Staub-von-der-Jacke-klopfen-und-erst-recht-Weitermachen. Am zweitwichtigsten finden Porij den Song am Ende eines Albums. Dort wartet die beatlose Ballade „Slow Down“. Nach all dem Aufruhr der zweiten Albumhälfte bringt sie das dringend nötige Durchatmen: „Finally I’m on my own / Finally there’s silence in my home.“

Veröffentlichung: 26. April 2024
Label: PIAS

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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