Alyona Alyona gehört zu den international bekanntesten Künstler*innen der Ukraine (Foto: Alexander Dobrev)
Seit dem 24. Februar 2022 ist Krieg in Europa. Betroffen vom russischen Überfall auf die Ukraine ist auch und vor allem die Zivilbevölkerung. Darunter zahlreiche Künstler*innen, die verschiedene Wege gefunden haben, mit ihrer Angst, Trauer und Wut umzugehen. Während Producer wie beispielsweise Stasevich mit neuen Tracks Aufmerksamkeit generieren, machen sich andere auf ganz pragmatische Art und Weise nützlich. So zum Beispiel die Rapperin Alyona Savranenko alias Alyona Alyona. Sie hält sich derzeit in ihrem Heimatort, in der Nähe von Kiew, auf und hilft dort in einer Apotheke aus. Ihr altes Leben als erfolgreichste Rapperin des Landes, die durch die ganze Welt tourt und Preise einheimst, scheint derzeit in weiter Ferne. Im Interview mit ByteFM Moderator Leif Gütschow hat die Musikerin von ihrem aktuellen Alltag und der Situation in ihrem Heimatort erzählt.
Hallo Alyona, wie geht es Dir in diesen Tagen?
In diesen Tagen ist es etwas schwer. Wir haben noch nicht gewonnen, aber wir alle denken, dass wir gewinnen werden. Bis dahin warten wir und tun alles Mögliche, um diesen Krieg zu gewinnen. Manchmal ist es aber emotional sehr schwer für uns. Wir versuchen, irgendetwas zu machen, Freiwilligenarbeit zu leisten. Weißt Du, wenn Du arbeitest, siehst Du nicht, was im Internet passiert. Du hörst die Explosionen nicht. Du arbeitest mit Menschen, Du hilfst Menschen und Dir geht es dadurch besser. Ich arbeite momentan in einer Apotheke. Nach diesem Interview gehe ich wieder zurück in die Apotheke. Ich habe dafür keine Ausbildung, aber wenn wir Boxen mit verschiedenen Tabletten hier haben, kann ich die grünen zu den grünen, die roten zu den roten sortieren. So kann ich Gutes tun.
Wo befindest Du Dich aktuell?
Ich bin hier etwa 40 Kilometer außerhalb von Kiew in Baryschiwka. Das ist das Dorf, aus dem ich komme. Der Krieg findet etwa zehn Kilometer entfernt von hier statt. Ab der zweiten Kriegswoche kamen die Kämpfe sehr nah. Eine Rakete ist hier eingeschlagen, aber den Menschen vor Ort geht es gut, sie sind sicher. Das getroffene Gebäude ist jedoch stark beschädigt. Unsere Soldaten haben zehn Kilometer entfernt einen Korridor errichtet. In diesem Gebiet halten sich keine Menschen mehr auf. Wir hören jeden Tag Explosionen, aber wir machen das Beste daraus. Ich plane nicht, von hier wegzugehen oder wegzufliegen.
Du hast vor Kurzem ein Video auf Deinen Instagram-Kanal gepostet. Es zeigt den Alltag in der Ukraine während des Krieges. Darunter sind auch Bilder der Hoffnung – ein Neugeborenes, Menschen, die heiraten. Gibt es zur Zeit auch Optimismus im Land?
Ja sicher. Ungefähr nach der ersten Kriegswoche wurde ich Informationssoldatin, weil ich ein großes Publikum erreiche. Ich wurde aus dem Ausland viel danach gefragt, wie es mir und der Ukraine geht. Also habe ich all die Schäden in den Städten dokumentiert. Aber ich verstehe, dass man nicht nur über schlechte Dinge berichten kann. Die Menschen brauchen Hoffnung. In manchen Videos fordere ich die Nato auf, den ukrainischen Luftraum zu schließen. Aber ich mache auch Videos über die Menschen, die hier bleiben und ihren Job machen. Die daran glauben, dass wir diesen Krieg gewinnen.
Viele Künstler*innen boykottieren derzeit den russischen Markt. Der bekannte ukrainische Sänger Max Barskih ist dafür ein gutes Beispiel. Wie ist Deine Meinung dazu?
Ja, Max Barskih ist ein wichtiges Beispiel für alle Künstler*innen in der Ukraine, ihre Musik nicht mehr in Russland anzubieten. Russinen und Russen können Max Barskih nicht mehr hören. Er zeigt ihnen, dass Geld nicht das Wichtigste im Leben ist. Das Leben der Menschen ist das Wichtigste. Weil Menschen sterben, kann er seine Musik nicht mehr auf russischen Plattformen verkaufen, weshalb er seine Playlisten dort geschlossen hat. Viele ukrainische Künstler*innen haben das aber noch nicht getan. Ich persönlich habe keine Angst, Geld zu verlieren. Was ist Geld? Geld ist nichts! Er hat Position bezogen und das ist sehr cool.
Was denkst Du über die Sanktionen gegen Russland, die auch die russische Zivilbevölkerung treffen?
Die russische Bevölkerung will diesen Krieg. Wenn sie sich nicht klar positioniert, wenn sie nicht mehrheitlich klarmacht, dass sie diesen Krieg nicht will. Dies hat sie nicht getan. Einige sind auf die Straße gegangen, haben versucht zu protestieren, wurden aber sofort verhaftet. Wenn wir darüber sprechen, stimmt mich der hohe Anteil der Leute, die einfach nichts machen sehr traurig. 98 Prozent und mehr sind nicht auf die Straße gegangen. Also macht Putin, was er will. Diese Sanktionen sind daher okay. Wenn die russische Bevölkerung das nicht will, muss sie etwas tun.
Ist es für Dich gerade möglich, kreativ zu sein und Texte zu schreiben?
Alle fragen mich danach. Ich weiß nicht, ich kann gerade keine Kunst machen. Ich weiß nicht, warum. Mein Kopf ist gerade im Internet, bei den News, und eine Hälfte davon bei den Menschen in der Apotheke, wo ich arbeite. Wenn ich nach Hause komme, bin ich einfach sehr müde. Ich kann über nichts schreiben. Manchmal lese ich Nachrichten und möchte weinen. Rap ist wütende Musik. Aber ich bin nicht wütend. Ich habe in meinem Herzen keinen Platz für Wut. Aber ich möchte keine Texte zum Weinen schreiben, weißt Du? Das ist nicht mein Stil. Deshalb mache ich gerade keine Musik. Aber ich schreibe derzeit ein kleines Gedicht, so etwas wie ein Gebet. Vielleicht werde ich das den ukrainischen Menschen in der Zukunft zeigen. Aber jetzt nicht.
Welche Künstler*innen aus der Ukraine sollten wir im Moment hören?
Ich kann Dir eine lange Liste an ukrainischen Künstler*innen schreiben, weil ich die Musik von hier wirklich sehr liebe. Das Kalush Orchestra mischt Rap mit traditionellen ukrainischen Motiven. Ich wünsche mir, dass alle Leute diese Musik kennenlernen und in ihr Herz schließen.
Hast Du als international bekannte Künstlerin jemals daran gedacht, Dein Heimatland zu verlassen?
Die Situation ist paradox. Ich bin früher immer so gern gereist. Ich habe die Möglichkeit, wegzufliegen und in irgendeinem anderen Land zu leben. Weil ich Musiker-Freundinnen und -Freunde habe, in vielen Ländern. Sie haben mich alle eingeladen, bei ihnen zu bleiben. Ich kann meine Freunde mitnehmen und wir könnten dort arbeiten. Aber ich will das nicht. Ich will hier sein, bei meiner Familie und bei meinen Freunden. Ich will all meinen Follower*innen zeigen, dass Du hier sein musst, wenn Du die Möglichkeit hast. Du musst stark sein, Du musst Menschen helfen. Wenn ich Mutter wäre und Kinder hätte, würde ich anders entscheiden. Es ist okay, wenn Frauen und Kinder ausreisen. Aber ich möchte, dass Leute hier bleiben und helfen. Denn irgendjemand muss es machen.
Möchtest Du uns noch etwas mit auf den Weg geben?
Zuallererst möchte ich mich für die Einladung zum Gespräch bedanken, für die Fragen und die Aufmerksamkeit für mein Land und mich als Menschen. Ich möchte mich auch bei Euch allen für die humanitäre Hilfe bedanken. Wir verteilen die Hilfslieferungen in verschiedenen Städten und helfen vor allem zuerst den Kindern damit. In der Zukunft, wenn ich in all die Städte komme, die der Ukraine helfen, werd ich mich noch einmal persönlich bei Euch bedanken. Ich glaube wirklich, dass ich die Möglichkeit dazu haben werde. Zuletzt möchte ich Euch bitten: Helft uns, unseren Luftraum zu schließen. Wir haben Angst vor eine nuklear-ökologischen Katastrophe. Putin ist verrückt. Wir wissen nicht, was wir von ihm erwarten können. Eine ökologische Katastrophe geht nicht nur die Ukraine, sondern die ganze Welt an.
Vielen Dank für das Gespräch und dass Du Dir die Zeit genommen hast. Alles Gute für Dich!
Das Interview mit Alyona Alyona könnt Ihr auch am 27. März 2022 um 13 Uhr in einer neuen Ausgabe des ByteFM Containers hören, moderiert von Leif Gütschow. Mitglieder in unserem Förderverein „Freunde von ByteFM“ haben die Möglichkeit, die Sendung nach der Erstausstrahlung jederzeit in unserem Sendungsarchiv nachzuhören.