Faust – „Just Us“ (Bureau B)
8,4
Zwei kurz aufeinanderfolgende Basstöne, ein Trommelwirbel, der unnatürlich lange nachhallt und ein subtiles Brodeln, bevor alles plötzlich in einer eruptiven Jamsession kulminiert – inklusive arrhythmischem Schlagzeug und durchgehendem Bass, der unter einer radikal verzerrten Gitarre vergraben wird. So beginnt das neue Album einer der legendärsten deutschen Bands des 20. Jahrhunderts: Faust. Also der Gruppe, die in den 1970er-Jahren zusammen mit Bands wie Can, Neu! oder Amon Düül mit Soundexperimenten und ausufernden Improvisationen nicht nur die Rockmusik aus der Zwangsjacke eingängiger Songstrukturen, sondern auch ihr Herkunftsland vom Staub einer verspießten Gesellschaft und ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit befreite.
Heute klingen Faust, vom erfrischend bedrohlichen Drone in „Palpitations“ oder dem dadaistischen „Ich Bin Ein Pavian“ vielleicht mal abgesehen, kaum anders als damals. So steht in „j US t“ (sprich „Just Us“) das Improvisierte, Spontane, Dröhnende, Perkussive im Vordergrund, während Songstrukturen mehr an Techno und Industrial als an Rock erinnern und eingängige Melodien höchstens ein Zufallsprodukt zu sein scheinen. Die wenigen harmonischen Instrumente klingen stets verstimmt, was am besten im Song „Gammes“ zu hören ist, in dem eine Gitarre (oder Ukulele) dilettantisch vor sich hin klimpert. Es ist gerade das Unperfekte und das Reduzierte, was die Songs von Faust, die nur noch aus den beiden Gründungsmitgliedern Jean-Hervé Péron and Zappi Diermaier bestehen, in musikalische Gesellschaftskritiken verwandelt. Da wäre vor allem der Umgang mit Zeit. Eine Dimension, die sich heute mehr denn je in eine Währung verwandelt hat. Eine Währung, die im flexiblen Kapitalismus der Gegenwart mehr wert ist als jedes Geld oder jedes Produkt dieser Welt.
Alle Songs lassen sich viel Zeit und beginnen erst mal mit einem ausgedehnten Intro, das sich immer leicht anhört, als suchten die Musiker erst mal geduldig nach dem richtigen Sound. Dazwischen ist alles ständig im Fluss: die Texturen, die Zählzeiten, aber auch das Tempo. Am radikalsten ist die Reduktion in „Nur Nous“, das mit einem sehr lange ausklingenden Klavierakkord beginnt und dann wiederum von lange ausklingenden Trommelschlägen beantwortet wird, wodurch eine angenehme Leere entsteht. Dass fast alle Songs so skelettiert sind, könnte man bei einer Band mit einer 43-jährigen Geschichte als Ideenlosigkeit interpretieren, doch das Gegenteil ist der Fall. Denn die Reduktion ist auch eine Einladung an die Hörer, die Songs weiterzuentwickeln. Denn dem Label zufolge möchte die Band die besten Versionen zusammen mit den jeweiligen „Remixern“ live aufführen. Damit rücken Faust die Vorstellung von Musik als vor allem soziales Phänomen in den Mittelpunkt. „j US t“ ist nicht nur der Beweis für ein würdevolles Altern von musikalischen Legenden, sondern auch ein innovativer Beitrag zu einer lethargischen Gegenwart: Open-Source-Musik für das 21. Jahrhundert.
Label: Bureau B
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