Neue Platten: Here We Go Magic – "A Different Ship"

Secretly Canadian(Secretly Canadian)

8,5

Die Geschichte dürfte mittlerweile hinlänglich bekannt sein, dennoch muss sie kurz erzählt werden. Unausgeschlafen und übernächtigt spielten Here We Go Magic im Juni 2010 beim Glastonbury Festival unter der sengenden Mittagssonne vor einem unausgeschlafenen und übernächtigten Publikum. Lediglich zwei Leute schienen sich ernsthaft dafür zu interessieren, was sich auf der Bühne abspielte: Thom Yorke und Radiohead-Stammproduzent Nigel Godrich, der sogar zu der Musik der Band aus Brooklyn abtanzte. Seither blieben Here We Go Magic und Nigel Godrich in Kontakt, mit dem Resultat, dass dieser ihr aktuelles Album produzierte.

„A Different Ship“ ist der dritte Longplayer von Here We Go Magic, und angesichts des etwas holprigen Starts dieses musikalischen Projekts, ist dessen Entwicklung durchaus bemerkenswert. Das im Jahr 2009 veröffentlichte selbstbetitelte Debütalbum, von Luke Temple mit spärlichem Equipment praktisch im Alleingang eingespielt, war nämlich eine unentschlossene Mischung aus Indie-Pop-Songs und instrumentalen Spielereien. Erst danach entstand eine richtige Band, die mit dem Album „Pigeons“ dann für eine der positiven Überraschungen des Musikjahres 2010 sorgte. Die elf zumeist sanften und eingängigen, aber unterschwellig eben doch verschrobenen Songs fügen sich zu einem homogenen und dichten Gesamtkunstwerk zusammen, das bis dato nichts von seiner Faszination verloren hat.

Luke Temple (Gitarre, Gesang), Michael Bloch (Gitarre), Jennifer Turner (Bass), Kristina Lieberson (Keyboards) und Peter Hale (Drums) liefern nun auf „A Different Ship“ keine simple Fortsetzung dieses Ansatzes, sondern geben sich deutlich offener und abwechslungsreicher. Die Vermutung liegt nahe, dass Nigel Godrich einen nicht unerheblichen Anteil hieran hat. Seine ausgesprochen klare Produktion entwirrt den Sound von Here We Go Magic, gibt ihren Klängen und den einzelnen Instrumenten weitaus mehr Raum als dies auf dem von Jennifer Turner produzierten Vorgänger-Album der Fall war. Dies ist nicht notwendigerweise besser oder schlechter. Aber es ist anders und zeigt, dass Temples Songwriting auf verschiedene Art und Weise funktioniert. Die sympathische Verschrobenheit, die „Pigeons“ so liebenswert macht, rückt auf „A Different Ship“ dabei allerdings in den Hintergrund.

Das neue Album entwickelt dafür eben seinen eigenen Reiz. Nach dem rund fünfzig Sekunden dauernden, von Perkussion beherrschten Intro, tritt eine knarzige akustische Gitarre auf den Plan, die ersten gesungenen Zeilen lassen einen Folk-Song vermuten, doch „Hard To Be Close“ entwickelt sich dann tatsächlich zu einem der wunderbarsten Pop-Songs dieses Jahres – melodiös, luftig und catchy. Beim ersten Hören ist dieser Song sogar derart gut, dass die nachfolgenden Stücke ein wenig Mühe haben, auf Anhieb mitzuhalten. Weitere Hördurchgänge geben ihnen dann aber doch die Gelegenheit, ihre Qualitäten zu entfalten. Das leicht nervöse „Make Up Your Mind“ lebt von seiner treibenden, hypnotischen Energie, während „Alone And Moving“ von einer ruhigen Klarheit geprägt ist. Es folgen weitere Wechselspiele aus rhythmischen und melancholischen Songs. Positiv gipfelt dies in der berührenden Schönheit von „Over The Ocean“ und der angenehmen Unaufgeregtheit von „Miracle Of Mary“, während die happy-go-lucky-Attitüde von „How Do I Know“ eine Spur zu simpel erscheint. Hier fehlt dann eben doch jene unterschwellige Schrägheit, von der auf dem Vorgänger-Album „Pigeons“ die durchaus ähnlich gearteten Songs „Collector“ oder „Old World United“ profitieren.

Liegt es am Wissen, dass Nigel Godrich dieses Album produziert hat, oder spielen die Ohren dem Hörer lediglich einen Streich, wenn auf „Hard To be Close“ nach etwa einer Minute eine Gitarre einsetzt, die – ebenso wie das Outro von „Over The Ocean“ – einem Radiohead-Album entsprungen sein könnte? Bei diesen Eindrücken handelt es sich aber um Ausnahmen. Die musikalische Identität von Here We Go Magic bleibt auf „A Different Ship“ also gewahrt, welches mit dem mehr als achtminütigen Titelstück schließt. Dessen Popcharakter wird nach etwas mehr als der Hälfte von einer ebenso ruhigen wie beunruhigenden Klanglandschaft abgelöst, die das Album mit düsteren Klavierklängen stimmungsvoll enden lässt.

Bei dieser Gelegenheit sei übrigens die limitierte Auflage von „A Different Ship“ ans Herz gelegt, deren zweite CD fünf ebenfalls ganz wunderbare Songs enthält, deren hohe Qualität jener des regulären Albums in nichts nachsteht.

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