Neue Platten: Xiu Xiu – "Always"

(Bella Union/Cooperative Music)(Bella Union/Cooperative Music)

7,7

Der bloße Blick auf die Titelliste von „Always“ reicht, um zu erahnen, was man eigentlich vorher schon wusste: Jamie Stewart, Frontmann, Genius und einziges konstantes Mitglied der 2002 gegründeten Formation Xiu Xiu, hat seine Ängste, seinen Selbsthass und seinen Blick für Grausamkeiten noch immer nicht verloren. Titel wie „I Luv Abortion“ oder „Born to Suffer“ sind dann schon mal eine Ansage an alle, die bei dem putzig anmutenden Bandnamen, entliehen dem chinesischen Film „Xiu Xiu: The Sent Down Girl“, auf klebrigen Indie-Pop hoffen.

Eine bewegte Geschichte liegt hinter der Avantgarde-Band, die im Jahre 2002 in San José, inmitten des sonnigen Kaliforniens, gegründet wurde. Die Besetzung wechselte in den vergangenen zehn Jahren so häufig, dass eine Aufzählung an dieser Stelle wohl jeglichen Rahmen sprengen würde. Nur so viel: Die Band besteht heute aus bereits genanntem Jamie Stewart sowie Angela Seo. Mastermind Stewart darf dabei ohne Weiteres als musikalischer Workaholic bezeichnet werden. Immerhin haben Xiu Xiu zusätzlich zu ihren neun Studioplatten weitere Live- bzw. Best-of-Zusammenstellungen sowie an die 20 (!) EPs, Singles und Split-Singles vorzuweisen. Außerdem war beziehungsweise ist Jamie Stewart Teil verschiedenster anderer musikalischer Projekte, wie z. B. Former Ghosts oder 7 Year Rabbit Cycle.

Xiu Xiu präsentieren auf ihrem neuen Album „Always“ keine fundamentalen Neuerungen. Es lebt von Stücken, deren Dissonanzen sich nicht selten zu einem haarsträubenden und flirrenden Musik-Gebilde entwickeln, das am Ende regelrecht explodiert. Die Nintendo-DS-generierten Sounds, die schon auf dem Vorgänger „Dear God, I Hate Myself“ Verwendung fanden, sind noch immer zu hören, wenngleich nicht mehr so ausgeprägt. „I Luv Abortion“ erinnert im Klangbild eher an ältere Alben wie „Fabulous Muscles“ oder „La Fôret“. Es geht wieder ein bisschen martialischer, mit ein bisschen mehr Lo-Fi, zur Sache. Jamie Stewarts Stimme, mal wimmernd, mal kreischend, malträtiert seine Hörer und wird begleitet von durchdringenden, mal mehr, mal weniger minimalistischen Beats und Synthie-Klängen. Als Paradebeispiel dient hierfür auch die erste Single-Auskopplung „Hi“, welche passenderweise den Start des neuen Longplayers bildet. Auch hier darf natürlich Stewarts markante Stimme nicht fehlen, die, gepaart mit den plastischen Sounds, immer auch ein wenig an Robert Smith und Ian Curtis erinnert. Aber auch die Melodie-Verliebtheit, die auf „Dear God, I Hate Myself“ zu hören war, findet sich in Titeln wie „Joey’s Song“ oder „Gul Mudin“ wieder. Auf einem Xiu-Xiu-Album dürfen natürlich auch ruhigere Tracks nicht fehlen, so hat „The Oldness“ etwa ein wundervolles Klavierintro zu bieten. Das tiefschwarze „Factory Girl“ wird getragen von durchdringenden Gitarren-Riffs, versetzt mit Geigen-Samples und dem reduzierten Einsatz von Synthesizern.

Textlich bleibt man bei Altbewährtem. Stewart wagt sich dabei regelmäßig an die Grenzen bestehender Tabus. In „Gul Mudin“ versucht er, einem afghanischen Jungen posthum Trost zu spenden, der von US-amerikanischen Soldaten getötet wurde, was diese als Sport betrachteten, während er in „Factory Girls“ die Verzweiflung und sexuelle Objektivierung immigrierter chinesischer Arbeiterinnen thematisiert. „Always“ handelt vom Alleinsein und von allgegenwärtiger Aussichtslosigkeit („Hi“, „Honeysuckle“), von verschiedensten Formen des Leidens („Chimneys Afire“), sowie von unerfüllter Liebe („Smear The Queen“). Fröhlich ist anders.

Für Xiu-Xiu-Liebhaber bietet „Always“ nicht sonderlich viel Innovatives, was aber keineswegs über die Tatsache hinwegtäuschen soll, dass es sich um ein durch und durch gelungenes Album handelt. Die Plattte ermöglicht Neu-Interessierten einen durchaus guten Einstieg in die Klangwelten dieser außergewöhnlichen Band. Wärmstens empfohlen sei all denjenigen, denen „Always“ gefällt, die kommende Europa-Tour der beiden US-Amerikaner, denn besonders das Energiebündel Jamie Stewart ist live eine wahre Freude!

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Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    Neue Platten: Xiu Xiu – „Always“ – ByteFM Magazin – SEO-Girl
    Feb 23, 2012 Reply

    […] ByteFM Magazin […]

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