Bill Callahan – „Gold Record“ (Rezension)

Bild des Albumcovers „Gold Record“ von Bill Callahan.

Bill Callahan – „Gold Record“ (Drag City)

8,0

„Knock Knock“, das 1999 erschienene Opus Magnum von Bill Callahan, begann mit einer offenen Einladung. „Let‘s move to the country“, sang die sanfte Baritonstimme des US-Amerikaners, der damals noch seinen Indie-Folk unter dem Decknamen Smog veröffentlichte. „Just you and me.“ Bei all der vom Cello erzeugten Wärme ließ er doch noch eine wichtige Stelle offen: „Let‘s start a … / Let‘s have a …“, heißt es in der dritten Strophe. Was Callahan mit dem lyrischen Du beginnen wollte, was er mit ihm oder ihr haben wollte, ließ er ungeklärt.

Die Kraft der Leerstelle

Callahan weiß um die Kraft einer guten Leerstelle. Die Diskografie des Künstlers ist voll von ihnen: Vom schranzigen Lo-Fi-Freak-Folk seiner Smog-Anfänge bis zu den altersmilden und – weisen Americana-Platten, die er mittlerweile unter seinem bürgerlichen Namen veröffentlicht. Erst im vergangenen Jahr erschien mit „Shepherd In A Sheepskin Vest“ seine bisher umfangreichste Platte (inklusive Smog die bereits 17. Bill-Callahan-LP!), ein 20 Songs und fast 64 Minuten umspannendes Doppelalbum. In diesem Breitbandformat konnte er sich maximal ausbreiten, Raum für Stille und für Magie lassen.

Sein neues, nur halb so langes Album „Gold Record“ ist von etwas konzentrierterer Natur. Raum lässt Callahan trotzdem: die analog aufgenommenen Songs sind so minimalistisch arrangiert, dass das Rauschen der Bandmaschine stets klar zu hören ist. Der Schlagzeuger spielt wie auf Zehenspitzen. Aus weiter Ferne singen hier und da Bläser, doch der Fokus liegt auf seiner Stimme und seiner Gitarre.

Verheiratet mit der ganzen Welt

Wenn er diesen Raum mit irgendetwas füllt, dann mit seinen Texten. Dort liegt seine größte Magie: Als Americana-Poet arbeitet Callahan auf einer ganz eigenen Ebene. Seine Lyrik ist zum Teil distanziert, zum Teil hoch empathisch – eine Qualität, die er in dieser Form vielleicht nur mit seinem 2019 gestorbenen Labelkollegen David Berman teilt. Wenn Callahan in eine fremde Haut schlüpft (was er sehr oft tut; der erste gesprochene Satz des Albums ist „Hello, I’m Johnny Cash“), schafft er im Perspektivwechsel zutiefst persönliche Eindrücke. In „Pigeons“ beobachtet ein Chauffeur ein frisch vermähltes Paar: „I picked up the newlyweds and asked them / Where they wanted to go / They said ‚We don’t care, we don’t know, anywhere, just go‘.“

Das Paar fragt den alten Fahrer nach Liebesrat. Seine Antwort ist ein Satz für die Ewigkeit: „And I said, „When you are dating you only see each other / And the rest of us can go to hell / But when you are married, you are married to the whole wide world‘.“

Später im Album erklingt tatsächlich „Let‘s Move To The Country“, der eingangs erwähnte Smog-Song. Das ohnehin schon alte Stück wirkt hier noch älter als das Original: Callahan bricht die Instrumentalparts auf zwei zart gezupfte Akustikgitarren herunter, als wäre es ein uralter Folksong. Doch der entscheidende Unterschied: Callahan beantwortet eine über 20 Jahre alte Frage. Die Antwort: „Let‘s start a family / Let‘s have a baby, or two.“ Vier alles entscheidende, in ihrer Simplizität wunderschöne Worte. Callahan weiß nicht nur, wie wichtig Leerstellen sind – er weiß vor allem, wie man sie perfekt füllen kann.

Veröffentlichung: 4. September 2020
Label: Drag City

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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