Cassandra Jenkins – „My Light, My Destroyer“ (Rezension)

Von Jan Boller, 16. Juli 2024

Cover des Albums „My Light, My Destroyer“ von Cassandra Jenkins

Cassandra Jenkins – „My Light, My Destroyer“ (Dead Oceans)

8,3

Mit ihrem zweiten Album „An Overview On Phenomenal Nature“ von 2021 gelang der New Yorkerin Cassandra Jenkins eine behutsame, cineastisch anmutende Montage, die musikalisch und textlich aus dem Rahmen fiel. Jenkins erschuf aus Folk, Ambient, Jazz und Field Recordings ein Klanggebilde, das erst in Verbindung mit den vielstimmigen, aus Dialogfetzen und Zitaten gespeisten Texten feste Konturen bekam. Spätestens beim abschließenden Instrumentalstück „Ramble“ konnte man das Gefühl haben, in einen Terrence-Malick-Film geraten zu sein. Diese Verbindung trägt das Album schon im Titel. Mit Malick teilt Jenkins den handlungsleitenden Gedanken, dass alles miteinander verbunden ist und das menschliche Leben der Natur mit Ehrfurcht zu begegnen hat. Bis heute ist „An Overview On Phenomenal Nature“ ein wunderschönes Rätsel geblieben, das glücklicherweise darauf verzichtete, zur selbstgefälligen Andacht zu werden.

Juvenile Einsamkeit

In dieser Hinsicht bedeutet Jenkins‘ neues Album „My Light, My Destroyer“ einen deutlichen Bruch mit dem Vorgänger. Jenkins feiert völlig zu Recht ihre größtenteils aus New Yorks Indie-Szene stammende Gästeschar, die jeden halbwegs Eingeweihten mit der Zunge schnalzen lassen: Katie Von Schleicher, El Kempner (Palehound), Meg Duffy (Hand Habits), Isaac Eiger (Ex-Strange Ranger), Zoë Brecher (Hushpuppy) und Daniel McDowell (Amen Dunes). Eine Gruppenarbeit soll es also sein und das kommt besonders dann zum Tragen, wenn erdige (Indie-)Rockstilmittel eingesetzt werden, die allein aufgrund der Regelhaftigkeit ihrer Genremotive Jenkins‘ neues Album vielseitig und verständlich zugleich werden lassen. „Clams Casino“ ist ein weit geöffneter Alt-Country-Song, der mit Feedback und fuzzigen Soli den Aufbruch im Herzen hat („I Don’t Wanna Live Alone Anymore“), „Petco“ mit El Kempner an der Gitarre klingt tatsächlich nach dem Neo-Slackertum von dessen Hauptband Palehound.

Juvenile Einsamkeit ist das Leitmotiv, um das rätselhafte Alltagsbeobachtungen und private Referenzen kreisen, die sich den Zuhörenden nur bis zu einem gewissen Punkt erschließen. Jenkins lässt sich durch eine Tierhandlung treiben, weil das Alleinsein sie zu ersticken droht. Man könnte sich fragen, ob es die dröge Alltäglichkeit wert ist, zum Songtext gemacht zu werden. Aber immer wieder entsteht der Eindruck, dass diese Oberflächlichkeit auch ein Schutzmechanismus ist vor zu viel nackter Öffentlichkeit.

Im All mit William Shatner

Traumwandlerisch sicher bewegt sich Jenkins auf ebensolchem Terrain in „Omakase“, „Only One“ oder dem erhabenen „Delphinium Blue“, wo die betörenden Düfte und Farben der Blumen mit der nervtötenden Alltäglichkeit verschmelzen, wenn man in diesem sensorischen Overkill arbeiten muss: „Chin up. Stay on task. Wash the windows. Count the cash.“ Dazu heißt es schon im Opener ganz passend: „I think you’ve mistaken my desparation for devotion.“ Eine Zeile wie „The clock hit me like a hammer“ redet einer gewissen Zivilisationsmüdigkeit das Wort und in solchen Momenten schielt Jenkins wieder ins Transzendente, in den Orbit. Ein kurzes Interlude trägt den Namen „Shatner’s Theme“ und besteht vornehmlich aus Grillenzirpen. In „Betelgeuse“, einem weiteren Zwischenstück, sieht Jenkins mit ihrer Mutter in den nächtlichen Himmel. Man ahnt, dass sich die zwei Frauen in der Stadt befinden, das legen die Verkehrsgeräusche dieser Aufnahme nahe. Und trotzdem ruft „Betelgeuse“ ein Bild hervor, in dem sich Mutter und Tochter auf eine Wiese ins Hinterland gesetzt haben, um sich den Himmelskörpern als Sehnsuchtsobjekten zu widmen. Saxofon und Klavier scheinen eine Umgebung in der Natur weit entfernt von dem Lärm und den Lichtern der Großstadt zu simulieren.

Eingerahmt von diesen beiden Stücken wird die Classic-Rock-Nummer „Aurora, IL“, die anknüpft an die Nomadengeschichten aus Tour-Tagebüchern zwischen endlosen Highways und unpersönlichen Hotelzimmern. Nebenbei fließt die Geschichte von Star-Trek-Opi William Shatner, der von dem Milliardär Jeff Bezos ins All geschickt wurde, in die bruchstückhafte Erzählung ein. Shatner überkam angesichts der Einsamkeit im All, verbunden mit der Verzweiflung über die Zerstörung der Erde durch die Menschheit, ein solches Heimweh nach „Mother Gaia“, dass ihn der Seelenschmerz überwältigte. Shatner sprach später vom „Overview-Effect“-Syndrom, das auch von anderen Astronauten*innen bekannt ist.

Immer wieder verbindet Jenkins ihre Songs durch Querverweise. Es gehört halt doch alles irgendwie zusammen. Damit unterscheidet sich „My Light, My Destroyer“ von „An Overview On Phenomenal Nature” vielleicht in der Wahl der Mittel, aber der Zweck ist der gleiche. Jenkins‘ Alben sind Sinnsuchmaschinen, die kaleidoskopartig danach streben, einer porösen Wirklichkeit Antworten auf essenzielle Fragen des Lebens abzuringen. So wie: „What is my true nature?“

Veröffentlichung: 12. Juli 2024
Label: Dead Oceans

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

Das könnte Dich auch interessieren:



Deine Meinung

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert