Kelly Lee Owens – „Inner Song“ (Album der Woche)

Bild des Albumcovers „Inner Song“ von Kelly Lee Owens, das ByteFM Album der Woche ist.

Kelly Lee Owens – „Inner Song“ (Smalltown Supersound)

Great minds think alike, sagt der englischsprachige Volksmund. Es ist auf jeden Fall einer der größeren Zufälle dieses Jahres, dass gleich zwei britische Künstlerinnen den selben Song auf ihren jeweiligen neuen Alben covern: „Weird Fishes/Arpeggi“, einer der verträumt-verschwurbelten Höhepunkte von Radioheads „In Rainbows“. Die Londonerin Lianne La Havas verwandelte den Song jüngst auf ihrem dritten, selbstbetitelten Studioalbum in eine kraftvolle Neo-Soul-Hymne. Ihr Cover streicht das „Arpeggi“ aus dem Titel, es heißt einfach „Weird Fishes“.

Auch Kelly Lee Owens interpretiert dieses Stück auf ihrem neuen Album. Ihre Version wirkt in vielerlei Hinsicht wie ein verzerrtes Spiegelbild der anderen Variante: Während La Havas sich auf Gesangsharmonien und betont menschlichen Soul-Sound konzentriert, fokussiert sich die walisische Produzentin und Songwriterin auf knisternde, betont unmenschliche Synthesizer-Arpeggios. Das tut sie wortwörtlich: Owens streicht das „Weird Fishes“ aus dem Titel, ihre Version heißt schlicht „Arpeggi“. Der ruhig vor sich dahinplätschernde Song ist gleichzeitig ein Understatement, speziell im Vergleich – und mündet dennoch in purer, blubbernder Schönheit. Für La Havas bildet ihr Cover die kathartische Klimax ihres Albums. Für „Inner Song“, Owens‘ zweite LP, ist „Arpeggi“ nur der Anfang.

Mit einem Bein auf der Waldlichtung, mit dem anderen im Club

Der entrückte, impressionistische Techno, der Owens 2017 mit ihrem selbstbetitelten Debüt zum Star machte, ist auf „Inner Song“ noch pointierter und einladender als zuvor. „On“, der zweite Song der LP, kombiniert schiebende House-Klänge mit anschmiegsamem Dream-Pop. Owens scheint stets mit einem Bein auf einer Waldlichtung und mit dem anderem im Club zu stehen. Gegen Ende wird der Puls stärker, die Bass-Drum immer energischer, doch kurz vor dem Drop scheinen plötzlich abfallende Gesangsharmonien wie Sonnenstrahlen aus dem Himmel.

Diese Strahlen erleuchten selbst straighte Techno-Banger wie „Melt!“ oder „Night“. Tracks, die in ihrer Essenz eigentlich zum hedonistischen Rumstampfen verleiten, wirken plötzlich wie Meditationsmusik. Nirgendwo wird das klarer als in „Corner Of My Sky“, in dem sie die altersweise Stimme von The-Velvet-Underground-Mitbegründer John Cale von seinem persönlichen Stück Himmel erzählen lässt. Die Musik, die dazu ertönt, lässt sich nicht anders als herzergreifend beschreiben. Das verbindet die „Great Minds“ Owens und La Havas: Beide suchen und finden transzendentale Schönheit. Nur benutzt Owens dafür nahezu menschliche Maschinenmusik.

Veröffentlichung: 28. August 2020
Label: Smalltown Supersound

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

Das könnte Dich auch interessieren:



Deine Meinung

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.