Sharon Van Etten – „Remind Me Tomorrow“ (Rezension)

Von Sebastian Lessel, 16. Januar 2019

Cover von „Remind Me Tomorrow“ von Sharon Van Etten (Jagjaguwar)

Sharon Van Etten – „Remind Me Tomorrow“ (Jagjaguwar)

8,0

Rechts am Bildschirmrand ploppt ein kleines Benachrichtungsfenster auf, es geht um Updates. Sowas wird meistens weggeklickt – Sharon van Etten macht das auch nicht anders: „Remind Me Tomorrow“ heißt die neue Platte der Künstlerin aus New York und trotzdem ist seit ihrem letzten Album etwas mit ihrem Sound passiert.

Nach vier Platten zwischen Folk und Indie-Rock, Gastvocals auf The Nationals „Trouble Will Find Me“ und ausgiebigem Touren war ab 2015 erst mal Pause angesagt. Sich einen Namen als unverzichtbare Stimme im Musikzirkus zu erspielen, forderte seinen Tribut und van Etten widmete sich anderen, neuen Dingen: Psychologie studieren, in der Sci-Fi-Serie „The OA“ schauspielern, in „Twin Peaks“ auftreten, den Soundtrack für den Film „Strange Weather“ komponieren und Mutter werden. Und plötzlich, sechs Monate nach der Geburt ihres Sohnes, hatte sie genug Songs beisammen, um ein neues Album zu veröffentlichen.

„Remind Me Tomorrow“ beginnt mit einsamen Piano-Akkorden fast genau wie ihr Vorgängeralbum „Are We There“. Dann kommt aber ein Break und zum tiefen Bassdrone gesellen sich ein schleppendes Schlagzeug und Hall-getränkte, gezupfte Streicher-Synths. Spätestens beim zweiten Track „No One’s Easy To Love“ ist klar: Synthie schlägt Gitarre und inspirierende Klangtexturen suchen geht über Klampfe umstimmen. Und tatsächlich ist die Kombination Synths und Sharon van Etten gar nicht so abwegig. Schon 2017 hat die Sängerin auf dem Titeltrack des Albums „Omnion“ von Hercules & Love Affair bewiesen, dass ihre Stimme perfekt ätherische Klangwelten ausfüllen kann.

Ein erfrischend hoffnungsvolles Update

Herzstücke von „Remind Me Tomorrow“ sind die Singles, die wie ein Triptychon die Facetten von Sharon van Ettens Reinkarnation auffächern: die punchy-synkopierenden Drums und euphorischen Synth-Linien von „Comeback Kid“; der auf einem Synth-Drone aufgebaute und wie Portishead schwül-groovende Love-Song „Jupiter 4“; und schließlich „Seventeen“. Letzterer Track ist van Ettens Heimspiel und die emotionale Abrissbirne des Albums. In „Seventeen“ wird in bester Patti-Smith-meets-Bruce-Springsteen-Manier gegen die Teenage Angst angesungen, inklusive Ausbruch in der finalen Bridge und Zuspruch für ihr verunsichertes, siebzehnjähriges Ich: „I see you so uncomfortably alone / I wish I could show you how much you’ve grown.“

„Ich wünschte, ich könnte Dir zeigen, wie sehr ich gewachsen bin“ – ihr Wachstum zeigt sich auch in den Texten. Waren früher toxische Beziehungen und persönliche Krisen das Salz in van Ettens Songwriting-Suppe, stehen nun hoffnungsvollere Themen auf der Tageskarte. Denn trotz allem, was gerade in der Welt katastrophal daneben geht, will Sharon van Etten für ihren Sohn ein positives Vorbild sein.

Und so ist „Remind Me Tomorrow“ der klingende Beweis dafür, dass trotz des bewussten Aufschiebens von Veränderungen, diese unterschwellig passieren, auch und gerade, wenn einen das Leben mit all seinen Facetten im Griff hat. Das ist eine erfrischend hoffnungsvolle Perspektive. Und wenn die sich wie das leichtfüßig Pirouetten drehende „Stay“ anhört, dann her mit den automatisierten Updates.

Veröffentlichung: 18. Januar 2019
Label: Jagjaguwar

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