ABC – „The Lexicon Of Love“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Baduizm“ von Erykah Badu, das unser ByteFM Album der Woche ist.

ABC – „The Lexicon Of Love“ (Mercury Records)

Da zum Jahresende traditionell wenig neue Musik veröffentlicht wird, nutzen wir die Chance, den Blick nach hinten zu richten: Statt neuer Langspieler stellen wir wegweisende Alben vor, die 2022 ein Jubiläum gefeiert haben. In dieser Woche ist es „The Lexicon Of Love“ von ABC, das in diesem Jahr 40 Jahre alt geworden ist.

Das Buch der Liebe ist lang und öde. So sang es einst der US-Musiker und Chef-Zyniker Stephin Merritt mit seiner Band The Magnetic Fields in „The Book Of Love“. „It’s full of charts and facts, and figures“, sang er 1999 mit seiner schweren Bass-Stime, „and instructions for dancing“. Ein ziemlich trockener Wälzer, dieses Buch. Das so schwer ist, dass es niemand hochheben kann.

Das Lexikon der Liebe ist hingegen eine ganz andere Geschichte – zumindest wenn man der Band ABC glauben mag. „The Lexicon Of Love“, das am 21. Juni 1982 veröffentlichte Debütalbum der britischen Gruppe, ist eine hemmungslose Feier des großen menschlichen Dramas „Liebe“. Hundert Prozent nach vorne, ohne Pause, ohne Angst vor Kitsch, ohne Anspruch auf Subtilität, mit größtmöglicher Ohrwurmdichte. „The Lexicon Of Love“ kann als Kunstwerk gerne kritisiert werden, doch eines ist es garantiert nicht: öde.

Die Menschen hinter dieser Band waren nicht immer solche Pop-Dampfwalzen. Die beiden Gründungsmitglieder Stephen Singleton und Mark White waren vor ABC als das Duo Vice Versa aktiv – ein Projekt, das für die minimalistische Synth-Pop-Szene ihrer Heimat Sheffield in den späten 70er-Jahren stilprägend war. 1980 wurden Singleton und White vom lokalen Fanzine-Autoren Martin Fry interviewt. Noch zum Ende des Jahres hatten sie gemeinsam eine neue Band gegründet: ABC. Mit Singleton am Saxofon, White an Synths und Gitarre und Fry am Mikrofon. Zwei Jahre später folgte „The Lexicon Of Love“ – das sie direkt an die Spitze der britischen Album-Charts katapultierte.

Schamloses Melodrama

Diese Platte war nicht nur für ABC eine einschneidende Erfahrung. Schließlich handelt es sich hier auch um eine der ersten großen Produktionsarbeiten von Trevor Horn, der erst als Mitglied von The Buggles und anschließend als Studio-Soundarchitekt maßgeblich den Klang des Jahrzehnts prägen sollte. Gemeinsam mit seinem Team aus Arrangeurin Anne Dudley, Toningenieur Gary Langan und Synthesizer-Zauberer J. J. Jeczalik (mit denen er 1983 die Band Art Of Noise gründete) pumpte Horn den New-Wave-Sound der frühen 80er-Jahre zu neuer Größe auf. „The Lexicon Of Love“ markierte für Horn und Konsorten einen ersten Spielplatz für ihren Fairlight CMI Synthesizer, ein Keyboard das gleichzeitig als Sampler dient. Die bombastischen Klänge dieses Instruments ziehen sich durch das ganze Album. Die kristallklaren New-Wave-Grooves des Openers „Show Me“. Die glitzernden Fanfaren von „Tears Are Not Enough“. Oder das sphärische Geklimper im sehnsuchtsvollen Instrumental-Abschluss „The Look Of Love, Pt. 4“. Kombiniert mit der Chickenscratch-Gitarre von Mark White entstand ein Sound, der genauso größenwahnsinnig wie unwiderstehlich anmutet.

Dieses opulente Klang-Dickicht ist aber im Grunde genommen nur eine schmückende Ergänzung für die Stimme von Martin Fry, das wahre Zentrum dieses Albums. Mit schamloser Dramatik schmeißt er sich in diese zehn Liebeslieder – und nirgendwo genussvoller als in ihrem größten Hit „The Look Of Love, Pt.1“. Von den ersten „Whoooho-whoooho-whooohos“ im Intro bis zum hemmungslosen „Yippie yeah yippee yay“ am Ende quetscht er aus jeder Silbe das Maximum an Melodrama aus. Das klingt natürlich genauso albern, wie es sich hier liest. Spaß macht’s trotzdem. Oder wie Stephin Merritt zwar nicht über das Lexikon, sondern das Buch, und trotzdem sehr treffend sang: „Some of it’s just transcendental / Some of it’s just really dumb.“

Veröffentlichung: 21. Juni 1982
Label: Mercury Records

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    Klaus
    Dez 19, 2022 Reply

    Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt.

    Nur eines Albums zum Thema aller Themen bedarf es:

    Dieses!

    (aber schade wäre es doch)

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