Deradoorian – „Ready For Heaven“ (Fire Records)
Fällt Deradoorian oder schwebt sie? Diese Frage kann man sich beim Blick auf das Cover ihres dritten Soloalbums „Ready For Heaven“ stellen. Wir sehen die US-Musikerin von der Seite, in elegant gekrümmter Körperhaltung – und es ist nicht ganz klar, ob sie gleich zu Boden kracht oder weiter in dieser unnatürlichen Haltung verharren wird.
Diese Frage kann man sich aber noch mehr beim Hören der dazugehörigen Musik stellen. Speziell der genau in der Mitte platzierte Song „Set Me Free“ wirft sie auf. Eingerahmt ist er von zappeligen, frickeligen Art-Pop-Tracks, doch hier hält Deradoorian plötzlich die Zeit an: Nostalgische Tasteninstrumente aus der Procol-Harum-Schule drehen sich in Spiralen. Der trockene Bass dreht seine eigenen Slow-Motion-Pirouetten, die Drums lassen jede Millisekunde zwischen den bedacht gesetzten Schlägen wie eine Ewigkeit wirken. „Angels on the altar / Shine down on me“, singt Deradoorian, diese göttliche Erfahrung beschreibend, „An invitation / Cosmically“. Hier scheint die Musik in der Luft zu hängen. Und dann geht es weiter: mit den unruhigen Piano-Licks, Saxofon-Kaskaden und durchs gesamte Stereobild oszillierenden Staccato-Gitarren von „Golden Teachers“ – und die Schwerkraft tritt mit voller Kraft wieder in Aktion.
Schweben oder Fallen
Das Spiel zwischen Fliegen und Stürzen, zwischen Chaos und Kontrolle war schon von Anfang an Teil der Musik der US-Amerikanerin. Als sie noch Angel Deradoorian hieß und sich in der Band Dirty Projectors mit Dave Longstreth und Amber Coffman virtuos die melodischen Bälle zuwarf. Diese wundervolle Indie-Rock-Kakophonie war auf ihrem 2015 veröffentlichten Solodebüt „The Expanding Flower Planet“ weniger spürbar – das Album war psychedelisch und abenteuerlich, aber deutlich minimalistischer arrangiert. Auch der Nachfolger „Find The Sun“ aus 2020 kam mit erstaunlich klaustrophobem Sound daher, während Deradoorians letztes Werk, das Debüt ihres neuen Duos Decisive Pink mit Kate NV, zu großen Teilen als „relativ“ bodenständiger Synth-Pop daherkam.
Doch auf „Ready For Heaven“ zieht sie endlich wieder alle Register. Die nervös lachenden Tremolo-Gitarren im Opener „Storm In My Brain“ geben direkt den Ton an: Der Großteil dieser Songs quillt nur so über von wahnwitzigen Ideen. Die wieselflinken, komplexen Gesangsmelodien, die Deradoorian in „Any Other World“ in unterkühltem Tonfall aus dem Ärmel schüttelt. Der congalastige, an ESG erinnernde No-Wave-Post-Punk von „No No Yes Yes“, der im rechten Kanal von Dub-Noise umhüllt wird. Die Musique-concète-Exkursion „Purgatory Of Consciousness“, die in all ihrem Rauschen und Platschen trotzdem irgendwie catchy ist.
Diese Reizüberflutung hat Konzept: Inhaltlich ist „Ready For Heaven“ ein Album über das stetige Erodieren der Menschheit – und die Frage, wie man in diesem konstanten Chaos noch Mensch bleiben kann. In „Digital Gravestone“ werden Babys aus zerbombten Häuserruinen geborgen, während in „Hell Island“ das Feuer der Apokalypse am Sternenhimmel schon sichtbar ist. Und dann, zur Mitte dieses dystopischen Avant-Rock-Chaos, ist da „Set Me Free“, dieses wunderbar wabernde Stück purer Pop-Musik. Vier Minuten schweben inmitten eines freien Falls.
Veröffentlichung: 9. Mai 2025
Label: Fire Records