Nick Drake – „Five Leaves Left“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Five Leaves Left“ von Nick Drake

Nick Drake – „Five Leaves Left“ (Island)

Während sich das Jahr 2019 dem Ende entgegen neigt und traditionell wenig neue Musik veröffentlicht wird, nutzen wir die Chance, den Blick nach hinten zu richten: Statt neuer Langspieler stellen wir wegweisende Alben vor, die 2019 ein Jubiläum feiern. In dieser Woche ist es „Five Leaves Left“ von Nick Drake, das in diesem Jahr 50 Jahre alt geworden ist.

Es beginnt mit einer in aller Seelenruhe vor sich hin schunkelnden Akustikgitarre. „And time has told me / Not to ask for more / For someday our ocean / Will find its shore“, singt eine sanfte Stimme. Der Sänger gibt den Worten viel Raum, bringt jede Silbe mit einer fast schon ätherischen Gemütlichkeit über die Lippen. Mit einfachen Worten beschreibt er die Unberechenbarkeit der Zeit. Nicht fatalistisch oder resignierend, sondern hoffnungsvoll. Irgendwann wird unser Ozean schon seine Küste finden. Man muss nur lange genug warten.

Es ist eine tragische Ironie, dass dem Mann, der diese weisen Wörter sang, nur so wenig Zeit auf dieser Welt geschenkt wurde. Als Nick Drake „Time Has Told Me“, den Opener seines Debütalbums „Five Leaves Left“, sang, war er 21 Jahre alt. Fünf Jahre später starb der britische Folk-Künstler an einer Überdosis Antidepressiva. Ob sein Tod ein Suizid oder ein Unfall war, ist unbekannt.

Im zeitlosen Fluss

Die Musik war Drake quasi in die Wiege gelegt. Seine Mutter Molly sang schon im Kindesalter mit ihm und seiner Schwester am Klavier. Auf der Raritäten-Sammlung „Family Tree“ finden sich Hausmusik-Aufnahmen, in denen das „Familien-Trio“ Mozarts „Kegelstadt-Trio“ intoniert, mit Nick an der Klarinette. Als Schüler begann er, Gitarre zu spielen, inspiriert von Folk-KünstlerInnen wie Bob Dylan und Joni Mitchell. Während seines Studiums trat er dann in Londoner Kneipen auf – und wurde vom Fairport-Convention-Bassisten Ashley Hutchings entdeckt. 1969 – vor 50 Jahren – veröffentlichte er „Five Leaves Left“.

Die unglaubliche Ruhe, mit der „Time Has Told Me“ das Album eröffnet, behält Drake auch auf den neun weiteren Songs bei. „River Man“ bewegt sich im ungeraden 5/4-Takt und fließt dennoch in sakraler Ruhe. Die Drakes Stimme und Gitarre umrahmenden Streicher klingen wahrlich zeitlos, irgendwo zwischen den barocken Arrangements eines George Martin und der nervösen Anspannung eines Jonny-Greenwood-Soundtracks. „Zeitlos“ beschreibt nicht nur die Ästhetik dieses Albums: Das titelgebende Streichinstrument im „Cello Song“ hält den ersten Ton so lange, dass man denkt die Uhren ständen still.

Ein Ozean findet seine Küste

Künstlerisch war dieses Album ein Erfolg, kommerziell jedoch nicht. Sowohl „Five Leaves Left“ als auch die Nachfolge-LPs (das jazzig-poppige „Bryter Layter“ und das minimalistische „Pink Moon“) floppten. Die Kritiken waren gut, doch kaum jemand hörte zu. Interviews gab Drake so gut wie keine, Konzerte brach er oft nach wenigen Songs ab. Seine letzten Jahre verbrachte er in Isolation.

Erst im Jahr 1999, ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod, brachte ausgerechnet eine vom „Pink-Moon“-Titelsong begleitete Autowerbung seine Musik einem größeren Publikum näher. Mittlerweile sind seine Alben Klassiker – und „Five Leaves Left“ ein Standardwerk, an dem kein aufstrebender Folk-Act vorbeikommt. Heute spenden Drakes Songs unzähligen Menschen Inspiration, Trost und Ruhe. Es sollte viel Zeit vergehen, bis Drakes musikalischer Ozean seine Küste fand.

Veröffentlichung: 3. Juli 1969
Label: Island

Bild mit Text: Förderveein „Freunde von ByteFM“

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