Slowdive – „Everything Is Alive“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 4. September 2023

Cover des Albums „Everything Is Alive“ von Slowdive, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Slowdive – „Everything Is Alive“ (Dead Oceans)

Sechs Jahre sind keine lange Zeit. Zumindest, wenn man Slowdive-Fan ist. Nachdem die britische Shoegaze-Institution sich 1995 auflöste, mussten ihre Anhänger*innen lange auf neue Musik warten. „Pygmalion“, ihr kurz vorher veröffentlichtes drittes Album, war ein nahezu ohrenbetäubend stiller Sonderling (und ihre vielleicht beste LP), die mit ihrer an die späten Talk Talk erinnernden Sperrigkeit die Laufbahn der Band mehr mit einem Fragezeichen als mit einem Ausrufezeichen vorzeitig beendete. „Da muss doch noch was kommen“, dachte sich bestimmt so manch ein Fan. Und der lange Atem sollte sich auszahlen: 2017, satte 22 Lenze später, war da plötzlich ein neues Album. Wer so lange warten kann, lacht doch über sechs Jahre.

Aber Zeit ist in der Musik von Slowdive ohnehin ein dehnbarer Begriff. Das Quintett um die Sänger*innen und Gitarrist*innen Rachel Goswell und Neil Halstead spielt seit ihren Durchbruchs-LPs „Just For A Day“ (1991) und „Souvlaki“ (1993) eine besonders verträumte Variante des Showgaze. Mit endlos nachhallenden E-Gitarren und mehr geflüsterten als gesungenen Vocals. Musik, die, wenn man tief in sie eintaucht, Raum und Zeit aus den Angeln heben kann. Und genau da machen Slowdive nun, sechs Sonnenumrundungen nach ihrem selbstbetitelten Comeback, weiter – und zwar mit ihrem fünften Album „Everything Is Alive“.

Jenseits von Raum und Zeit

Slowdive waren 2017 inmitten des großen Dreampop-Revivals der Zehner-Jahre zurückgekehrt – und gewannen mit Songs wie „Sugar For The Pill“ eine ganz neue Generation an Fans. Die Ursprünge von „Everything Is Alive“ deuteten im Vergleich dazu eine stilistische Abkehr an: Halstead arbeitete eigentlich an einem elektronischen Solo-Projekt, als die Corona-Pandemie das Tour-Business lahmlegte und die Band mangels Alternativen zurück ins Studio brachte. Statt sie weiter solo zu verfolgen, ließ er seine Electronica-Ambitionen in die Band-Arbeit einfließen. Wer nun bei „Everything Is Alive“ eine Experimental-LP im Stile von „Pygmalion“ erwartet, könnte enttäuscht sein: „Shanty“ eröffnet das Album direkt mit rauschender Gitarren-Wall-Of-Sound, weit entfernten Uuuhs und Aaahs und noch weiter entferntem Lead-Gesang, als wären wir wieder mitten in den 90ern. Nur ein zart klimpernder Oszillator deutet die neuen Möglichkeiten an.

Doch spätestens beim nächsten Song, dem instrumentalen „Prayer Remembered“, ist es mit potentiellen Enttäuschungen auch vorbei. Slowdive erfinden sich auf „Everything Is Alive“ nicht neu, sondern machen einfach für 40 Minuten das, was sie am besten können. Das besagte „Prayer Remembered“ meditiert in schwereloser Ruhe und zeigt, dass diese Band keinen Gesang braucht, um ihre emotionale Kraft zu entfalten. „Alife“ ist lupenreiner Jangle-Pop, mit sanft umschlungenen Gitarren-Arpeggios und einem sich wie ein warmer Schal um die Ohren schmiegender Refrain. Halsteads neue elektronische Spielzeuge dürfen in Songs „Chained To A Cloud“ oder „The Slab“ interessante Kontrapunkte zu den dichten Gitarrenwänden spielen. Und „Skin In The Game“ kann es in punkto Dreampop-Perfektion problemlos mit „Sugar For The Pill“ aufnehmen, besonders dank seinen besonders warmen Akustikgitarren. Wenn man beim Hören dieses Albums die Augen schließt, klingen diese 40 Minuten nicht wie sechs Jahre Wartezeit, sondern wie eine wunderbare Ewigkeit.

Veröffentlichung: 1. September 2023
Label: Dead Oceans

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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Diskussionen

1 Kommentare
  1. posted by
    Iha
    Sep 6, 2023 Reply

    Ich freue mich über solche schönen Texte. Danke.

    Und die Musik Auswahl von euch.

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