Tyler, The Creator – „Chromakopia“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 4. November 2024

Cover des Albums „Chromakopia“ von Tyler, The Creator

Tyler, The Creator – „Chromakopia“ (Columbia)

Tyler Okonma trug schon viele Masken. Als der US-Rapper als Tyler, The Creator mit seiner Crew Odd Future die HipHop-Blogosphäre in Brand setzte, präsentierte er sich als Kakerlaken fressender Klassenclown. Der darüber rappte, Bruno Mars in den Kehlkopf zu stechen. Hinter dieser Performance versteckte er aber von Anfang an tiefe Verwundbarkeit. Sein 2009er Debütmixtape „Bastard“ beinhaltete unzählige Provokationen – und auch Zeilen, in denen er sein Innerstes nach außen kehrte: „My father’s dead, well, I don’t know, we’ll never fucking meet / I cut my wrist and play piano ‚cause I’m so depressed“, hieß es im Titelsong. Auch diese persönlichen Einblicke teilte er in performativer Wut, ein verletzter Hund, der nach seinem Gegenüber schnappt. Die Mischung aus Aggression und Verletzlichkeit war und ist essenzieller Teil des Mysteriums Tyler, The Creator, der bei aller vordergründigen Offenheit sein Publikum stets auf Abstand hält.

Im Verlauf seiner Karriere wurde er zarter – und en passant endgültig zu einem der spannendsten Rapper seiner Generation. Mit „Flower Boy“ (2017) und „Igor“ (2019) veröffentlichte er zwei sanfte Neo-Soul-Throwbacks, inspiriert von Liebesbeziehungen mit Frauen und Männern. Dafür, dass sich diese Tracks wie überaus intime Erzählungen anfühlen, hält Okonma sein Privatleben ziemlich bedeckt. Und so haut er in Interviews lieber seine Meinung über den Status quo des HipHop heraus. Sein intensives, lebenslanges Studium dieses Genres demonstrierte er zuletzt auf „Call Me If You Get Lost“, eine offenkundige Liebeserklärung an den Rap, das hiermit als das vielleicht am wenigsten maskierteste Tyler-The-Creator-Album gelten kann (obwohl er selbst hier als „Sir Baudelaire“ auftrat).

Nimm die Maske ab

Auch auf „Chromakopia“, seinem achten Studioalbum, trägt Tyler, The Creator wieder eine Maske. Dieses Mal sogar direkt auf dem Cover. Es zeigt Okonma als sein neues Alter Ego „St. Chroma“, dessen Gesicht von einer schwarzen, ausdruckslosen Maske verhüllt ist. Im Musikvideo zur Single „Noid“ sehen wir ihn auf der Flucht vor übergriffigen Fans, die Distanz zum Publikum scheint für Okonma immer noch ein wichtiges Thema zu sein. Gleichzeitig ist – oder wirkt – „Chromakopia“ in vielerlei Hinsicht wie das, Achtung: Floskel, persönlichste Album seiner Karriere. So kommt als immer wiederkehrende Erzählerin dieser LP seine Mutter Bonita Smith direkt zu Wort. Okonma hat für „Chromakopia“ seine Kindheit und insbesondere alte Ratschläge reflektiert. „You don’t have to put on no costume / You don’t ever have to lie to kick it“, rät Smith zur Mitte des Albums – in einem Song mit einem bezeichnenden Titel: „Take Your Mask Off“.

Den wichtigsten Hinweis gibt Smith aber direkt zu Beginn der Platte: „Don’t you ever in your motherfucking life dim your light for nobody.“ Auf „Chromakopia“ vereint Okonma, der wie immer auch für die Beats verantwortlich ist, die zwei musikalischen Pole seiner Karriere, die verletzlichen Momente und die harten Banger. Und gerade die letzteren ballern hier mit maximaler Kraft. In „Noid“ verwandelt Okonma ein Riff der Zamrock-Legenden Ngozi Family in ein paranoides Psych-Rock-Brett. Mit seinen chaotisch klackernden und rasselnden Percussions klingt „Rah Tah Tah“ wie eine unheilige Kombination aus The Neptunes und Jpegmafia.

Reflektierte Banger

Auch „Thought I Was Dead“ wirkt, als hätte Pharrell einen Psilocybin-Albtraum in einen Beat verwandelt. Und mit „Sticky“ präsentiert Okonma einen Beat, der von ohrenbetäubendem Stampfen und kolossalen Blechbläsern angetrieben und von starken Features von den Gastrapperinnen GloRilla, Sexyy Red und einem wunderbar hungrigen Lil Wayne abgerundet wird.

Auf dem anderen Ende des Klangspektrums zeigt sich Tyler, The Creator gewohnt verwundbar. Aber auf eine überraschend reflektierte Art und Weise. Der nicht anwesende Vater, den er schon auf „Bastard“ verfluchte, ist auf „Chromakopia“ omnipräsent: Mama, I’m chasin‘ a ghost / Do I look like him?“, fragt er seine Mutter in „Like Him“. „How could I ever miss somethin‘ / That I’d never had?“

Ein Grund für die Wiederkehr dieses Themas: Okonma wäre fast selbst (ungeplant) Vater geworden – und stellt sich in dem Albumhighlight „Hey Jane“ seinen Ängsten. „We still learnin‘ each other, I don’t know all of you / And you don’t know all of me, how am I to live with? / That is not a good foundation to have kids with.“ Und dann rappt er plötzlich in der zweiten Strophe aus der Perspektive der Partnerin. „I’m feelin‘ the resentment any time you get near me / My body has a clock and I don’t know where the end be.“ Einer der emotional komplexesten Songs von Tyler, The Creator – und bis dato sein bester Maskentrick.

Veröffentlichung: 25. Oktober 2024
Label: Columbia

 

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

Das könnte Dich auch interessieren:



Deine Meinung

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert