Die neuen Singstars

Von selinanowak, 22. November 2010

Als „The next Big Thing in HipHop“ wird der „King of Mixtapes“ Theophilus London derzeit gehandelt. Musikalische Parallelen zu Aloe Blacc oder Gnarls Barkley ließen mich auf ein Konzerterlebnis voller großartiger DJ-Skills und vielleicht sogar einer Live-Band hoffen.
Welch Enttäuschung musste ich erleben! Verzeihlich, dass der 24-jährige New Yorker das Publikum lange warten ließ, verzeihlich, dass er offensichtlich etwas bekifft, etwas verplant wirkte und beim zweiten Stück erst mal den falschen Track erwischte. Unverzeihlich war: der Grund für diesen Fehler: Er fand die richtige Datei in iTunes nicht! Wie jetzt? iTunes? Tatsächlich, ich traute meinen Augen nicht. Theophilus London spielte die Hintergrundmusik zu seinem Gesang per Mausklick vorgefertigt vom Player ab. Ganz offen einsehbar. Mitsamt Background Vocals. Keine Band, ja nicht mal ein DJ, der diesem Auftritt wenigstens oberflächlich den Anschein einer Livem-Show gegeben hätte. Was ist los in der Musikwelt?
Schon vor zwei Wochen hatte ich ein ähnliches Erlebnis.
Zola Jesus, die von der Musikkritik hochgehypte neue Königin des Goth, drückte nicht einmal das Knöpfchen selbst. Musik kam aus dem Off, die junge Dame sang dazu und machte komische Bewegungen, ohne das Publikum dabei überhaupt nur anzusehen. Die Instrumente auf der Bühne waren für die Folgeband Xiu Xiu gedacht und blieben unberührt. Ja wo war denn ihre Band? „I was touring with the band but I couldn’t afford to bring them over to Europe. So I had to do it alone.“ gestand sie mir nach dem Konzert. Wie jetzt? Finanziert sie sich die Tour selber? Wie tief muss die Musikindustrie tatsächlich in er Krise stecken, dass sie ihren Künstlern nicht einmal die Flüge bezahlen kann? Wird hier aus Kostengründen ein neues Konzept erprobt? Eine neue Schlichtheit, nach all dem teuren Big Band- und Sinfonieorchester-Pomp?
Es gibt Formate, bei denen es tatsächlich nicht mehr braucht, als einen Menschen und einen Computer auf der Bühne. Elektronik-Liveacts wie Former Ghosts beispielsweise, dessen LapTop nunmal sein Instrument ist. Oder Hanne Hukkelberg, die ihre Beats zwar auch vom Band laufen lässt, aber mittels Effektgerät ihre Stimme doppelt und durch die Nutzung von Keyboard und Gitarre auf der Bühne den Zuschauern das Gefühl gibt, es mit handgemachter Musik zu tun zu haben.
Doch Musik aus dem Off oder von iTunes eingespielt – da verkommt der Auftritt zu einer besseren Karaokeshow. Die fehlenden Live-Musiker können auch vom extravaganten Look eines Theophilus London oder dem eurythmetischen Ausdruckstanz einer Zola Jesus nicht kompensiert werden.
Da hat wohl jemand zu viel Playstation Singstar gespielt!

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