Zola Jesus – „Arkhon“ (Rezension)

Von ByteFM Redaktion, 23. Juni 2022

Cover des Albums „Arkhon“ von Zola Jesus, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Zola Jesus – „Arkhon“ (Sacred Bones Records)

7,9

Wann warst Du das letzte Mal in einem Wald? Also nicht in dem, was im von Menschenhand durchdeklinierten Großstadtplanungs-Mindset als „Waldpark“ durchgeht, sondern in einer ungezähmten, verwachsenen Landschaft? Ein „richtiger“ Wald ist gar nicht mal so romantisch, wie er in der Naturlyrik dargestellt wird. Und auch nicht so gruselig, wie Horrorfilme- und Märchen einem weismachen wollen. Genau wie dem Meer oder den Bergen sind diesem viele Hektar umspannenden Organismus Deine Emotionen ziemlich egal. Du kannst ihn idealisieren oder Dich vor ihm fürchten. Das macht dem Wald nichts aus. Und wenn wir ihn nicht in unserer menschlichen Hybris vollständig zerstören, wird er uns alle lange überleben. Er ist einfach.

Das endlose Dickicht

„Arkhon“, das sechste Album von Zola Jesus, beginnt in genau so einem archaischen Wald. Die US-amerikanische Musikerin, die mit bürgerlichem Namen Nika Roza Danilova heißt, beschreibt im Opener „Lost“ das endlose Dickicht. Und den Versuch, ihm zu entkommen: „Everyone I know is lost / Flare gone missing, turning dark / We keep walking through the weeds / Hoping for a quick release.“ Der „quick release“, die schnelle Lösung, scheint der Punkt zu sein. Danilovas Natur-Metaphorik kommt nicht ohne Romantik aus – sie liebt den Wald als Rückzugsort. Doch was im Song überwiegt – vor allem auch in der nebulösen, nervös pulsierenden Musik – ist ein Gefühl eines uns als Menschen transzendierenden Orts. Dieses Gestrüpp ist auf mehr als einer Ebene größer als wir. Und jeder Versuch, einen Ausweg zu finden, ist zum Scheitern verurteilt.

Auch Danilova scheint die vergangenen Jahre in solch einem Dickicht verbracht zu haben. Ein halbes Jahrzehnt ist seit der Veröffentlichung ihres Albums „Okovi“ ins Land gezogen. Klar, nach zwei Pandemiejahren kann man Künstler*innen lange Wartezeiten verzeihen, doch für die sonst so hochproduktive Musikerin sind fünf Jahre ohne Albumveröffentlichung ein langer Zeitraum. Zur generellen Weltuntergangsstimmung gesellte sich bei ihr noch eine heftige Schreibblockade. Das Projekt Zola Jesus hat sich einen Namen als Einzelgängerin gemacht: Danilova hatte bisher auf ihren ambitionierten Darkwave-, Industrial- und Art-Pop-Platten alle Fäden in der Hand. Dieses Mal wagte sie aber etwas ganz Neues: Sie gab die Kontrolle ab. Zum ersten Mal in der Zola-Jesus-Geschichte nahm sie Hilfe von außen an.

Kontrolle abgeben

So ist „Arkhon“ ein Gemeinschaftsprojekt geworden. Als Produzenten holte Danilova den US-Amerikaner Randall Dunn mit ins Boot, der bereits mit Underground-Acts wie Sunn O))), Marissa Nadler, Earth und Kayo Dot zusammenarbeitete – und Zola Jesus’ schwer greifbaren Sound hier meisterhaft einfängt. Der andere wichtige Akteur ist Schlagzeuger Matt Chamberlain (der Musiker hinter den mächtigen Breakbeats von Fiona Apples „When The Pawn …“ und generell vielbeschäftigter Studiodrummer, von Robbie Williams bis Frank Ocean). Seine komplexen Polyrhythmen erwecken in „Lost“ das von Danilova besungene Dickicht zum Leben und bringen in Tracks wie „Sewn“ oder „Do That Anymore“ einen fast schon tanzbaren Puls in Zola Jesus’ verhallten Avant-Pop. Danilovas langjährige Tour-Geigerin steuert in „Dead And Gone“ ein gleißendes Streicher-Meer bei, das mit seiner leichten Dissonanz – und der Kombination mit Danilovas klassisch ausgebildetem Vibrato – an die frühen Soloplatten von Scott Walker erinnert.

Das Ergebnis ist zwar nicht ganz so stringent wie frühere Zola-Jesus-LPs, doch was der Platte an Fokus fehlt, macht Danilova mit einer neuen Lebendigkeit und Spielfreude wett: Auch wenn nicht alle Ideen und Exkursionen auf „Arkhon“ zünden, klang Zola Jesus noch nie so vielseitig wie hier. Das ist die wahrscheinlich wichtigste Erkenntnis, wenn man dem endlosen Dickicht entfliehen möchte: Zusammen ist es immer einfacher.

Veröffentlichung: 24. Juni 2022
Label: Sacred Bones Records

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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