Neue Platten: Hot Chip – "In Our Heads"

(Domino)Domino

8,3

Wie machen Hot Chip das eigentlich? Dass man sich von ihnen jedes Mal wieder in diese kitschige Welt der leichten, aber nie seichten Popsongs entführen lässt. Dass man gar nicht mehr aufhören kann, mit den Füßen zu wippen und zu zappeln, sich von Taylors Stimme, die man in jeder anderen Band als bubihaft-boygroupesk abtun würde (und sowieso erinnern Hot Chip immer öfter an die Backstreet Boys), einlullen zu lassen, und das bei Songs, die so sehr poppiger Lovesong sind, dass man sie eigentlich hassen müsste.

Der Trick, der Hot Chip gerade noch so von Boygroups, billigen Pop-Bands und Schnulz-Songs, die glauben, ein wenig Elektro könnte sie retten, trennt, ist wohl die hochgezogene Augenbraue. Die leichte Ironie, die immer mitschwingt – auch, wenn sie auf dem fünften Album „In Our Heads“ ganz eindeutig uneindeutig geworden ist. Hot Chip sind wohl die einzige Band, bei der man nicht das Gefühl hat, sie mit der Bezeichnung Pop zu beleidigen, sogar Songzeilen wie „My love is kind to you, my love is blind to you, my love is right for you, i know it is my boo“ vergibt man den fünf Herren aus London jedoch schon, bevor man überhaupt böse wurde. Was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass es wohl unmöglich ist, diese Band nicht sympathisch zu finden. Aber mit noch größerer Wahrscheinlichkeit damit, dass Hot Chip seit vier Alben, unzähligen Nebenprojekten und Mixtapes wirklich immer Großartiges abliefern und zwar auf voller Bandbreite. Immer gut und immer intelligent.

Vieles, was Hot Chip für „In Our Heads“ nutzen, hat man schon mal irgendwo gehört und das ist das Schöne an der Platte: Sie ist wie ein großes buntes Mosaik, das die Band zusammengebastelt hat. „In Our Heads“ ist kein Album bei dem Über-Songs herausstechen – es ist eher ein organisches Gesamtwerk, in dem unterschiedlichste Einflüsse und tausende kleine Beat-Teilchen zu einem vielschichtigen Einheitswerk zusammenfließen. „In Our Heads“ ist in sich rund. Es gelingt die Synthese zwischen elektronisch-tanzbaren Klängen und Liebesliedern.

Und so beginnt „In Our Heads“ mit dem sehr fett produzierten und retrohaften „Motion Sickness“, das uns noch recht reduziert und mit gedämpften Bläsern auf das Album einstimmt. Gedämpft geht es aber nicht weiter. „How Do You Do?“ mutet wesentlich treibender an: Unruhige 80er Jahre Sounds, verschachtelte Beats, die ebenso plötzlich verschwinden wie sie einsetzen, gesampelter Chor-Gesang im Hintergrund „A church is not for praying, it’s for celebrating the life that bleeds through the pain“.

Ganz offensichtlich ist das fünfte Album der Londoner weniger verkopft und wesentlich fröhlicher und zugänglicher als die Werke davor. „Don’t Deny Your Heart“ überzeugt als medleyartiger Popsong, durchzogen von häufigen Tempi- und Rythmuswechseln. Beginnend mit etwas, was man schwerlich anders als Gegrunze definieren kann, singt Taylors Butterstimme in Begleitung eines Männer-Background-Chor. Glöckchengeläut untermalt die Taktstruktur des Refrains – alles in allem äußerst funkiger Disco-Pop, der dazu aufruft, möglichst ausgelassen und hemmungslos zu tanzen. „Look At Where We Are“ vollzieht den Stilwechsel zu Soul und R’n’B. Zu entspannteren, tieferen Bässen singt Taylors Stimme wimmerig und weinerlich von – ja, von was? Natürlich von der Liebe! „Look at where we are, remember where we started out, never gonna be without each others love again“ – das könnte man auch als Liebeserklärung an seine Band verstehen!

Nach dieser geballten Ladung Gefühl, überzeugt „These Chains“ mit cleaner und housiger Instrumentierung, was hervorragend zu Joe Goddards tiefer Bärenstimme passt. „Night And Day“ fängt die nachdenkliche Stimmung allerdings sofort ab und entführt den Hörer auf eine Raumschiff-Party, treibende Synthies vermischen sich mit Sounds, die nach Science-Fiction und Star Wars klingen. Die Vielfalt an Beats wird noch verstärkt durch den wechselnden Gesang, es kommen diverse verzerrte Stimmen und tonnenweise Samples zum Einsatz, ergänzt durch ironischen Sprechgesang „Do I Look Like A Rapper?“… Ja ein wenig schon!

Mit dem anschließenden „Flutes“ beginnt der persönlichere Teil des Albums, was nicht heißt, das er nicht tanzbar wäre! Zwar ist der siebenminütige Song klarer und gedämpfter, trotz allem gilt die Dancefloor-Garantie auch hier. „Now There Is Nothing“ klingt ein wenig nach den Beatles in elektronisch. „End Of The Earth“ ist ein klassischer Elektro-Pop Song: simple treibende Beats, aber gut. „Let Me Be Him“ ist ganz eindeutig das schönste Liebeslied des Albums; Goddard und Taylor im Duett, die perfekte Synthese aus Elektro und Gefühl. Kinderlachen erinnert an Timbalands Vertonung von Aaliyah. Der letzte Song ist eine Kollaboration mit Lizzi Bougatsos von Gang Gang Dance, ein bisschen zu klimperig und unruhig – und damit das einzige Stück, das man hätte weglassen können.

Auf „In Our Heads“ fehlen die Hits, aber ebenso die wirklich ruhigen Balladen – es ist eher eine ausgewogene Mischung aus beiden. Hot Chip scheinen damit den Versuch gemacht zu haben, beides nicht mehr nur auf einem Album, sondern direkt in ihren Liedern zu vereinen. Das ist ihnen auch durchaus gelungen, macht „In Our Heads“ allerdings zu einem Album, das mehr als einen Hörgang benötigt, um sich zu entfalten. Beinahe schon ein Spalter: entweder das beste oder das schlechteste Album der Londoner, zumindest laut bisheriger Reaktionen. Oder einfach ebenso gut wie die vorherigen – Hot Chip eben.

Label: Domino | Kaufen


Hot Chip – Night & Day von Flixgr

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