Avey Tare – „Eucalyptus“ (Rezension)

Von Marius Magaard, 29. Juli 2017

Cover des Albums Avey Tare – „Eucalyptus“ (Domino)

5,5

„Gezeugt an hawaiianischen Morgen. Geschrieben an einem sonnendurchfluteten Schlafzimmer-Nachmittag in Los Angeles. Geprobt in der kalifornischen Dämmerung. Geschlafen unter dem Himmel von Big Sur“ – so beschreibt der US-amerikanische Musiker David Portner alias Avey Tare den Entstehungsprozess seines neuen Albums „Eucalyptus“. Esoterische Seltsamkeit ist nichts neues für Portner, schließlich ist seine Hauptband Animal Collective eine dieser Bands, die abstrakte Psychedelia und surreale Sounds mit eingängiger Popmusik verbinden kann. Seit 2010 veröffentlicht der Gitarrist und Sänger aus Baltimore unabhängig von seiner Band Soloalben. Doch „Eucalyptus“ hat nicht viel mit dem Weirdo-Indie-Rock von Avey Tare‘s Slasher Flicks zu tun. Es ist ein verletzliches, chaotisches Psych-Folk-Album geworden.

Songs wie der Opener „Season High“ und „Ms. Secret“ lassen sich in ihrer folkigen Intimität mit der Musik von Devendra Banhart vergleichen. In letzterem darf sogar die Avantgarde-Pedal-Steel-Gitarristin Susan Alcorn das Klangbild mit Country-Impressionen anreichern – so US-amerikanisch hat Tare noch nie geklungen. „Melody Unfair“, der zweite Song des Albums, erinnert mit seiner Kombination aus sanft getreichelter Akustikgitarre und surreal verzerrten Samples mehr an „Spirit They’re Gone, Spirit They’ve Vanished“ – das gleichermaßen kindlich verspielte wie albtraumhafte Animal-Collective-Debüt. Tare schafft es hier, sich mit abstrakten, psychedelische Sounds direkt ins Unterbewusstsein einzugraben – und zeigt sich dabei so verwundbar wie seit 17 Jahren nicht mehr.

Leider schafft er es nicht, den brillanten Fokus dieser ersten drei Songs über die Spanne des 15 Songs und 62 Minuten Laufzeit langen Albums zu halten: Stücke wie die Collagen „Lunch Out Of Order Pt. 1“ und „Lunch Out Of Order Pt. 2“ oder das viel zu lange „Coral Lords“ verlieren sich in elektro-akustischer Seltsamkeit, während die eingängigeren Songs wie „Jackson 5“ wie krampfhafte Versuche wirken, diese Seltsamkeit mit den großen Pop-Hooks des Hit-Albums „Merryweather Post Pavillon“ zu verknüpfen.

Diese Höhen und Tiefen machen „Eucalyptus“ leider zu einem frustrierenden Album. Immer wenn Tare den Hörer erfolgreich in seinen hawaiianischen Morgen oder seine kalifornischen Dämmerung versetzt, reißt die nächste zu exzessive Collage oder der nächste inkonsequente Song einen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Was wie ein organischer Tageszyklus wirken soll, fühlt sich zu oft wie ein wirrer Fieber-Traum an.

Veröffentlichung: 21. Juli 2017
Label: Domino

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