Exploded View – „Obey“ (Sacred Bones)
6,8
Anfang der 2010er Jahre sattelte die im Vereinigten Königreich geborene Annika Henderson vom Journalismus auf die Musik um. Unter dem Pseudonym Anika ging die Künstlerin, die auch lange in Deutschland gelebt hat, 2014 auf ihre erste Solo-Tour. In Mexiko wurde sie von den drei lokalen Produzenten Martin Thulin, Hugo Quezada und Amon Melgarejo unter die Fittiche genommen. Schnell war die knisternde, musikalische Chemie, die zwischen den Vieren funkte, kanalisiert und es entstand Exploded View: eine Alternative-Band, die nicht an den Konventionen der Musikwelt festhalten will. In improvisierten Straight-To-Tape-Sessions nahmen sie Ende 2015 ihr erstes, selbstbetiteltes Studioalbum auf. Jetzt folgt das zweite und bis dato anspruchsvollste der Band.
Für „Obey“ kehren Exploded View ihrer rohen Stegreif-Mentalität den Rücken zu und heißen den Overdub willkommen. Dazu gesellt sich eine aufwendigere und vielseitigere Instrumentalisierung, die einen wie in einem düsteren Traum in ihren Bann zieht. Widerhallende Vocals, schrammende Lo-fi-Kickdrums und -Gitarren, sowie sphärische Synth-Töne zeichnen eine ominöse, organische Klanglandschaft, irgendwo zwischen Grunge und Electronica.
Verloren im experimentellen Minimalismus
Als langjährige, freischaffende Poetin ist auch auf diesem Album wieder Annika Henderson für die lyrische Komponente zuständig. Ihr Schreibprozess ist dabei wieder politisch, schon der Titel des Albums „Obey“ verweist auf Sozialkritik: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir gehorchen oder es riskieren müssen, bestraft zu werden“, sagt die britische Künstlerin. „Das können soziale, juristische oder emotionale Strafen sein – wenn man es wagt, die Grenzen zu überschreiten, muss man Konsequenzen tragen.“
Hendersons Lyrics thematisieren auf „Obey“ den ständigen Kampf mit sich selbst und der Gesellschaft. Die Botschaft, die Exploded View vermitteln wollen, hat einen fast schon aufklärerischen Charakter: Seid Euch Euren Gehorsams bewusst und traut Euch, trotz möglicher negativer Konsequenzen, Euren eigenen Kopf zu benutzen. Weil manche Freiheiten aber so einfach nicht erreichbar sind, haben Exploded View mit „Obey“ eine Traumwelt erschaffen, in der Konventionen und soziale Zwänge keine Rolle spielen.
Leider füllt das spannende Konzept nicht automatisch ein überzeugendes Album. Exploded Views Klanggefüge ist mitunter wirr und unübersichtlich. Es fällt schwer, einen Zugang in ihr konventionsfreies Universum zu finden. Besonders gegen Ende lässt der Einfallsreichtum der Band nach und das Album verliert sich selbst im experimentellen Minimalismus. Mit „Obey“ haben Exploded View ihren außergewöhnlichen Charakter und damit ihre unkonventionelle Positionierung in der Musikwelt weiter gefestigt. Das Album funktioniert allerdings in der Theorie besser als in der Praxis.
Veröffentlichung: 28. September 2018
Label: Sacred Bones